Seit Juni 2019 wird im Spital Martinach unter der Leitung von Dr. Marcello Di Serio und in Zusammenarbeit mit dem CHUV eine Sprechstunde in Urogynäkologie angeboten. Ein Team, das sich auf die Harninkontinenz und die Probleme in Zusammenhang mit der Beckenstatik spezialisiert hat, bietet Behandlungen gegen diese sehr häufigen Beschwerden an. Gemäss den neusten Studien werden 7 von 10 Frauen im Verlauf ihres Lebens mit Episoden von Harninkontinenz konfrontiert. Da es sich noch um ein Tabuthema handelt, wird dieses Problem oft nicht richtig behandelt, obwohl wirksame Lösungen bestehen. Wir haben uns mit Dr. Marcello Di Serio, Leitender Arzt und Verantwortlicher der Einheit Urogynäkologie im Spital Wallis, unterhalten.
Die Ursachen
Harninkontinenz ist ein unfreiwilliger Harnverlust. Es bestehen zahlreiche Ursachen:
- Geburt mit Komplikationen (Dammriss)
- Mehrfachschwangerschaft (Zwillinge)
- chirurgischer Eingriff
- Ausführen von Arbeiten, die grosse körperliche Anstrengung erfordern (Heben von Lasten)
- schlechte Gewohnheiten (Zurückhalten des Urins oder des Stuhls während mehrerer Stunden/Tag)
- Blasenkrebs
- vererbbare Krankheit (z.B. Kollagenopathie)
- neurologische Erkrankung (Alzheimer, Parkinson, usw.)
Die Symptome
Der Harnverlust kann bei einer Anstrengung vorkommen. In diesem Fall
spricht man von einer Belastungsinkontinenz. Es handelt sich
um einen Harnverlust ohne vorgängigen Harndrang. Er kann in folgenden
Situationen auftreten:
- Anheben von schweren Lasten oder Tätigkeit mit grossem Druck auf den Unterleib
- Sport
- Niesen
- Husten
- Lachen
- Geschlechtsverkehr
Harnverlust kann auch ausserhalb einer speziellen Anstrengung auftreten. Man spricht dann von einer Inkontinenz aufgrund einer überaktiven Blase. In diesem Fall geht dem Harnverlust ein imperativer und unkontrollierbarer Harndrang voraus, der auch Urge- oder Dranginkontinenz genannt wird. Eine überaktive Blase zeigt sich auch durch unfreiwillige Harnverluste während der Nacht.
Die Prävention
Die wichtigsten Ratschläge für die Prävention gegen die Inkontinenz:
- den Urin und den Stuhl nicht während mehrerer Stunden/Tag zurückhalten
- genügend trinken (mindestens 1.5 l Wasser für eine erwachsene Personen zwischen 60 und 80 kg)
- die Beckenbodenmuskeln trainieren
- beim Auftreten der ersten Symptome den Arzt aufsuchen
Die Behandlungen
«Wir beginnen immer mit dem Vorschlag einer Beckenbodenrehabilitation, die sehr wirksam ist, vor allem dann, wenn früh damit begonnen wird», erklärt Dr. Di Serio. «Anschliessend bieten wir je nach Art der Inkontinenz verschiedene Behandlungen an. Wenn der Harnverlust hauptsächlich bei Anstrengungen auftritt, schlagen wir eine chirurgische Behandlung vor. Es handelt sich um einen ambulanten Eingriff von rund 30 Minuten über die Vagina, der keine sichtbaren Narben hinterlässt. Die Operation ist erfolgreich, da 80 % der Frauen auch noch 10 Jahre nach dem Eingriff zufrieden sind», fügt der Gynäkologe an. «Wenn es sich jedoch um eine Inkontinenz aufgrund eines imperativen Harndrangs handelt, ist eine medikamentöse Behandlung (Injektion von Botulinumtoxin in die Blase) vorzuziehen». Die komplexesten Fälle werden in einem multidisziplinären Team (zusammengesetzt aus Proktologen, Physiotherapeuten, Spezialisten für Schmerzmanagement, Psychologen, usw.) diskutiert, das sich monatlich zu einem Perineologie-Kolloquium trifft.
An wen kann man sich wenden?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Sie können sich an Ihren Hausarzt oder Gynäkologen, aber auch direkt an einen spezialisierten Physiotherapeuten wenden. Unter der Nummer 027 603 94 23 können Sie auch mit der Sprechstunde für Urogynäkologie des Spital Wallis Kontakt aufnehmen.
«Ich ermutige alle Frauen mit Inkontinenzproblemen dazu, mit ihrem Hausarzt oder Gynäkologen darüber zu sprechen, sobald die ersten Symptome auftreten. Es ist an der Zeit, das Tabu zu brechen. Wenn man nicht darüber spricht, verzögert sich nur die Behandlung und das Problem verschärft sich. Eine Beckenbodenrehabilitation kann sehr wirksam sein, wenn man beim Auftreten der ersten Anzeichen einer Inkontinenz reagiert. Natürlich ist es nie zu spät für eine Konsultation, denn je nach Art und Schweregrad der Erkrankung gibt es mehrere Behandlungsmöglichkeiten. Die Rückmeldungen unserer Patientinnen sind sehr positiv und oft hören wir von einer grossen Erleichterung. Gerade heute hat mir eine Patientin anvertraut: «Glücklicherweise habe ich den Mut gefunden, darüber zu sprechen! Ich habe eine Lebensqualität wiedererlangt, von der ich dachte, sie für immer verloren zu haben!»
Links:
Sprechstunde für Urogynäkologie:027 603 94 23