Medizin & Pflege Prävention & Beratung

Erleben Sie Gewalt? Lassen Sie Ihre Verletzungen dokumentieren, um Ihre Rechte geltend zu machen.

Wer einmal oder wiederholt Gewalt erfährt, steht unter grossem Stress. Gewalt kann oft mit langfristigen psychischen und/oder physischen Folgen verbunden sein. Vor allem häusliche Gewalt hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit von Eltern und ihren Kindern. Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, kann die Bevölkerung auf die Unterstützung des Walliser Interventionsnetzes gegen häusliche Gewalt zählen, dem auch die Abteilung für Gewaltmedizin des Zentralinstituts der Spitäler angehört.
Die Abteilung für Gewaltmedizin mit ihrer vertraulichen, kostenlosen Sprechstunde für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren ergänzt seit Juni 2021 die Struktur des Walliser Netzwerkes gegen häusliche Gewalt (Opferhilfe-Beratungsstellen, Notunterkünfte, Polizei, sozialmedizinische Zentren etc.) und wird finanziell durch die Dienststelle für Sozialwesen des Kantons Wallis unterstützt.
Erfahren Sie mehr von der Leiterin der Abteilung für Gewaltmedizin, Dr. Jasmin Steiner, Rechtsmedizinerin und Leitende Ärztin im Zentralinstitut der Spitäler, über dieses Angebot für Personen, die Gewalt erleben.

Warum braucht es diese Struktur?

Dr. Jasmin Steiner

Laut polizeilicher Kriminalstatistik des Kantons Wallis wurden im Jahr 2021 im Kanton 983 Straftaten gegen das Leben und die körperliche Integrität verübt. Diese beinhalten unter anderem Tätlichkeiten, leichte und schwere Körperverletzungen sowie Tötungen. Diese Zahl ist in den letzten Jahren soweit stabil geblieben.

Bezüglich häuslicher Gewalt wurden im Jahr 2021 795 Straftaten registriert und die Polizei musste 341 Mal vor Ort ausrücken. Gegenüber dem Vorjahr 2020 ist die Zahl etwas zurückgegangen, wobei sie in den letzten fünf Jahren stets einen ansteigenden Charakter zeigte. Die Statistiken widerspiegeln jedoch nur einen Bruchteil der tatsächlichen Gewaltbetroffenheit: Opferbefragungen zeigen nämlich, dass sich lediglich zwischen 10 und 22 % der von häuslicher Gewalt betroffenen Personen an die Polizei wenden (Quellen: Kantonspolizei Wallis & Statistik EBG ).

In diesem Zusammenhang ist die Sprechstunde der Abteilung für Gewaltmedizin des Zentralinstituts der Spitäler als Ergänzung zu den bestehenden Hilfsangeboten der Partnervereine oder -institutionen im Wallis zu verstehen. Ihre Kernaufgabe liegt im Erstellen einer Dokumentation der Verletzungen der gewaltbetroffenen Person nach rechtsmedizinischem Standard.

Gewalt kann jede und jeden von uns treffen, unabhängig von Alter und Geschlecht. Gewalt kann uns in allen Lebenslagen begegnen, sie kennt keine sozialen oder gesellschaftlichen Grenzen.

Wie verläuft eine Sprechstune in der Abteilung für Gewaltmedizin?

Es handelt sich um eine vertrauliche, kostenlose Sprechstunde, die einmalig nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung und auf Terminvereinbarung stattfindet. Sie wird von spezialisierten Pflegefachpersonen durchgeführt und von Rechtsmedizinerinnen/Rechtsmedizinern unterstützt. Die Sprechstunde erfolgt auf freiwilliger Basis und dauert ein bis zwei Stunden.

Die Person kann in einer ruhigen und neutralen Umgebung von der erlebten Gewalt erzählen. Das offene und ohne Scham behaftete Erzählen der Erlebnisse erlaubt ein aufmerksames Zuhören seitens unserer Mitarbeitenden.

Im Anschluss an das Gespräch erfolgt eine körperliche Untersuchung, um eine Dokumentation der Verletzungen nach rechtsmedizinischem Standard zu erstellen. Zur Verletzungsdokumentation sollte die Sprechstunde idealerweise innerhalb von 72 Stunden nach dem Ereignis stattfinden.

Um weitere Hilfe zu erhalten, wird die gewaltbetroffene Person über verschiedene Fachberatungsstellen und Partnerinstitutionen im Wallis informiert.

Nach der Sprechstunde wird ein sogenannter medizinischer Befundbericht erstellt, in dem die relevantesten Angaben und die festgestellten Verletzungen (inkl. Fotodokumentation) aufgeführt sind.
Sobald der Bericht fertiggestellt ist, wird er der betroffenen Person persönlich zugestellt. Sie allein entscheidet, wie sie den Bericht weiterverwenden will. Aus Sicherheitsgründen kann der Bericht in unserer Abteilung auch archiviert und zu einem späteren Zeitpunkt abgeholt werden.

Die Dokumentation einer Auseinandersetzung nach rechtsmedizinischem Standard erlaubt es der gewaltbetroffenen Person, ihre Rechte geltend zu machen, unabhängig davon, ob sie Anzeige erstatten möchte oder nicht.

Was ist der Nutzen des medizinischen Befundberichts?

Ein medizinischer Befundbericht erlaubt es der Person, ihre Rechte geltend zu machen. Neben strafrechtlichen Verfahren kann der Bericht in zivilrechtlichen oder administrativen Verfahren hilfreich sein.

Auch wenn die Person zunächst keine Anzeige erstatten will, kann der medizinische Befundbericht bei einer Meinungsänderung zu einem späteren Zeitpunkt als Beweismittel dienen, insbesondere bei wiederholten Auseinandersetzungen im Rahmen von häuslicher Gewalt.

Wer kann sich bei der Sprechstunde melden?

Die Sprechstunde der Abteilung für Gewaltmedizin richtet sich an Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren unseres Kantons, die von Gewalt betroffen sind und zwar im:

  • häuslichen Umfeld wie in der Partnerschaft oder in der Familie,
  • ausserhäuslichen Bereich wie in der Öffentlichkeit, im Verein, am Arbeitsplatz, bei der Ausbildung, in der Nachbarschaft, in der Freizeit, im Ausgang, usw.

Da Gewalt nicht immer sichtbare Spuren am Körper zurücklässt, kann die Sprechstunde auch ohne feststellbare Verletzungen stattfinden, unabhängig davon, ob die Person Anzeige erstatten möchte oder nicht.

Es handelt sich bei uns um eine einmalige Sprechstunde nach einer Auseinandersetzung. Wenn eine Person wiederholt Gewalt erlebt, kann sie nach jedem Ereignis einen Termin für eine Dokumentation vereinbaren.

Bei sexueller Gewalt oder bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren haben sich die betroffenen Personen auf der Notfallstation von Sitten oder Visp zu melden.  

Wir sind ein multikultureller Kanton mit zwei Sprachregionen. Gibt es manchmal Verständigungsprobleme?

Unser Sekretariat ist mehrsprachig. Die Sprechstunden hingegen finden in deutscher oder französischer Sprache statt. Falls die gewaltbetroffene Person in einer anderen Sprache kommuniziert, stellen wir kostenlos eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zur Verfügung. Der Grund für eine/n Dolmetscher/in ist die Tatsache, dass das Berichten einer Auseinandersetzung offener erfolgt, als wenn eine nahestehende Person bei der Sprechstunde die Übersetzung übernimmt. 

Kann ich als betroffene Person meine Verletzungen auf der Abteilung für Gewaltmedizin behandeln lassen?

Nein. Unsere Abteilung ist zuständig für die Dokumentation der Auseinandersetzung. Bei akuten behandlungsbedürftigen Verletzungen hat sich die Person auf der Notfallstation, beim Hausarzt resp. bei der Hausärztin zu melden, bevor sie unseren Sprechstundentermin wahrnimmt.

Wichtige Information zur Sprechstunde  

Terminvereinbarung: Die Sprechstunde erfolgt nur auf Terminvereinbarung. Die gewaltbetroffene Person kann selbst oder mit Hilfe einer anderen Person einen Termin vereinbaren.
Telefon: 027 603 63 70 (Montag – Freitag, 08.15 – 11.00 Uhr und 14.00 – 16.00 Uhr).
E-Mail: ich.violences@hopitalvs.ch.
Adresse: Abteilung für Gewaltmedizin
Spitalstandort Siders, Rue St. Charles 14, 3960 Siders, Gebäude «Bonne Eau»,3. Stock (direkt hinter dem Spitalgebäude).
Weitere Informationen finden Sie unter www.hopitalvs.ch/gewalt.

Nützliche Kontakte für sofortige Hilfe:
Polizei: 117
Ambulanz:144
Hausärztlicher Notfalldienst: 0900 144 033 (Fr. 0.50/Anruf + Fr. 2.-/min.)
Psychiatriezentrum Oberwallis: 027 604 33 33
Pôle de Psychiatrie Psychothérapie: 0800 012 210 (gratis, französischsprachiges Wallis)
Opferhilfeberatung Oberwallis: 027 946 85 32
Opferhilfeberatung französischsprachiges Wallis: 027 607 31 00

Über den Autor/die Autorin

Diana Dax