Prävention & Beratung

Die Jugend: eine Phase des Experimentierens

Wenn das Risiko lockt…
Geht probieren immer über studieren? Für einen Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenalter ist das Leben eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Zahlreiche Herausforderungen im sozialen und beruflichen Bereich kommen auf die Jugendlichen zu.

Die Verhaltensänderungen und die erhöhte Risikobereitschaft in dieser Phase lassen sich biologisch relativ einfach erklären. Das Gehirn ist noch eine Baustelle. Im Alter zwischen 12 und 25 Jahren gibt es eine «zerebrale Pubertät». Gemäss Nicolas Donzé, Biologe und Toxikologe am Zentralinstitut der Spitäler (ZIS) in Sitten, kann ein Mensch erst mit rund 23 Jahren eine klare Grenze zwischen Ja und Nein ziehen. Jugendliche schätzen die Risiken ihrer Handlungen deshalb nicht immer richtig ein.

Philippe Vouillamoz, Direktor des Sektors Beratung und Prävention von Sucht Wallis, ist regelmässig mit dem Risikoverhalten von Jugendlichen konfrontiert: Alkohol, Drogen, Spiele… Er sagt: «Die Jugendzeit ist wichtig für die Selbstfindung.» Der Jugendliche wendet sich von seinen bisherigen Vorbildern (meist die Eltern) ab und die Clique, die Gleichaltrigen werden nun zu seinen Identifikationsfiguren.

Oft ist diese Zeit der Veränderungen mit Krisen verbunden, «denn man kann und will sich nicht mehr auf das stützen, was einmal war, weiss aber gleichzeitig noch nicht, woran man sich in Zukunft orientieren soll.» Vielfach betreffen diese Krisen die gesamte Familie.

«Alle leiden mit, doch die Pubertät bietet auch eine Entwicklungschance.» Der Jugendliche lotet seine Grenzen neu aus, es ist eine Phase des Experimentierens. «Die Gefahr geht nicht so sehr vom Experimentieren selbst aus, sondern vielmehr von der noch unreifen Vernunft, die das Risikoverhalten eigentlich regulieren sollte. Deshalb müssen in der Pubertät die Familie, die Schule oder der Lehrmeister als Regulator einspringen», so Philippe Vouillamoz.

«Dropout»-Fälle
Wenn jemand durch die Maschen des familiären, schulischen, sozialen oder beruflichen Auffangnetzes fällt, spricht man von sogenannten «Dropouts» (von engl. to drop out: herausfallen) Rund 15% der Jugendlichen sind Dropouts. Sie haben keine Beschäftigung, sind psychisch besonders verwundbar und denken im Vergleich zu anderen Jugendlichen 4-mal öfter an Suizid. Neben beruflichen Schwierigkeiten spielen in diesen Konstellationen auch familiäre Probleme eine grosse Rolle.

Trinken, Prügeln, Ausreissen
Für Dr. Simon Fluri, Chefarzt der Abteilung Pädiatrie im Spitalzentrum Oberwallis (SZO), umfasst das Risikoverhalten der Jugendlichen weitaus mehr als den allgemein bekannten Alkoholkonsum. Die Spitalteams haben es z.B. mit Jugendlichen zu tun, die sich unter Alkohol- oder Drogeneinfluss mit Älteren geprügelt haben, sich das Leben nehmen wollten, ausgerissen sind oder Essstörungen aufweisen (mehrheitlich Mädchen). Nicht selten rufen die Eltern in solchen Fällen das Spital an.

Gemäss Dr. Fluri wurden in den letzten Jahren in der Kindermedizin grosse Fortschritte erzielt, die Jugendmedizin hinkt jedoch hinterher. «Hier müssten Kinder- und Erwachsenenärzte besser zusammenarbeiten», so seine Meinung.

No risk, no fun
Das Risiko hat für die Jugendlichen oft eine so hohe Anziehungskraft, dass medizinische Argumente wie «Das ist nicht gut für deine Gesundheit!» nicht viel gelten. Viel wichtiger sind soziale Argumente wie «Das ist gut zum Partymachen, so gehöre ich auch dazu.» Ein anderes Problem von Jugendlichen ist, dass sie vieles schönreden oder sich selbst überschätzen:

  • «Ecstasy kaufe ich einfach nur von Leuten, die ich kenne, dann kann nichts passieren.»
  • «Ich habe schon so viel probiert und es ist immer gut gegangen.»
  • Auch die Wissenschaft wird zur eigenen Beruhigung herangezogen: «Was soll’s, wenn meine Lunge im Eimer ist? Bald kann man sicher auch Lungen transplantieren.»

Serge Tisseron, französischer Psychiater und Spezialist für die Tücken der Jugend, hört das Wort «Sucht» in Zusammenhang mit Jugendlichen nicht gerne. «Von Sucht kann man eigentlich erst ab 25 Jahren sprechen. Wenn jemand vor diesem Alter im Bereich Drogen, Alkohol, Internet, Sex oder Gewalt über die Stränge schlägt, ist dies eher jugendliches Risikoverhalten als Sucht.»

Ob und wie ein Jugendlicher aus diesen Verhaltensweisen herausfindet, hängt von seinem Alter, seinem Umfeld und dem Schweregrad des Problems ab. Manchmal sitzt das Problem tief und zieht sich über Jahre hin. Hier kommt es auch auf die Reaktionsgeschwindigkeit der Familie und des sozialen Umfelds an.

Prävention und Hilfe
Philippe Vouillamoz gibt Folgendes zu bedenken: «Manchmal versteckt sich hinter dem Alkohol- oder Drogenkonsum ein psychisches Problem, das der Jugendliche so zu überspielen versucht.

Wir arbeiten nach der Methode der Frühinterventions-Pyramide, einem abgestuften System unter Einbezug von Nahestehenden und Fachleuten wie Schulpsychologen, Dienststelle für die Jugend und Jugendpsychiatrie, um die Probleme besser zu verstehen. Besteht Unklarheit bezüglich des Gesundheitszustands eines Jugendlichen, wird er an das Zentrum für Entwicklung und Therapie von Kindern und Jugendlichen (ZET) oder die Jugendpsychiatrie weiterverwiesen.» Das ZET kümmert sich um Prävention, Konsultationen, Abklärungen, Gutachten, Behandlungen und Schulungen. Es geht vor allem darum, die eigenen Ressourcen der Jugendlichen zu aktivieren, so dass sie ihre jeweiligen Herausforderungen besser meistern können.

Die Jugendlichen sind die Erwachsenen von morgen und mit ein bisschen Glück schaffen sie es, ihre Experimentierphase in positive Lebenserfahrung umzuwandeln.

Trunkenheit als Ziel
Jedes Jahr überweist das Spital Wallis rund 900 Suchtbetroffene aus allen Altersgruppen an die Fachstellen von Sucht Wallis. Es gibt momentan jedoch keine genauen Statistiken zum Anteil der Jugendlichen.

An vielen Partys wird das «Komasaufen» zelebriert. Dadurch wird Trunkenheit regelrecht provoziert und als Bewusstseinszustand angestrebt. Es geht darum, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu trinken, um möglichst schnell und intensiv «high» zu werden. Insbesondere junge Frauen finden immer mehr Geschmack an solchen Alkoholexzessen.

Nützliche Adressen
Sucht Wallis | www.sucht-wallis.ch
Groupement Romand d’Etudes des Addictions (GREA)| www.grea.ch
Staat Wallis | www.vs.ch/gesundheit Rubrik Gesundheitsförderung

Über den Autor/die Autorin

Jessica Salamin

Collaboratrice communication - Spécialisée médias sociaux

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