In der Schweiz hat sich die Zahl der Kaiserschnitt-Geburten innerhalb von 25 Jahren verdreifacht. Sie machen mittlerweile rund 33% aller Geburten aus. Dieser Aufwärtstrend ist weltweit feststellbar, unterscheidet sich aber stark von Land zu Land. In Brasilien, Ägypten, China und in der Türkei kommen zum Beispiel mehr als die Hälfte der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nimmt diese «Kaiserschnitt-Epidemie» mit Besorgnis zur Kenntnis und erinnert daran, dass der Anteil idealerweise bei 10-15% liegen sollte. Und wie sieht es im Spital Wallis aus? Um mehr über dieses Thema zu erfahren, haben wir uns mit Frau Dr. Plaschy Moradi unterhalten. Sie ist Chefärztin in der Abteilung Geburtshilfe im Spital Sitten.
Im Spital Wallis sind durchschnittlich 25% aller Geburten Kaiserschnitte. Wie erklären Sie sich diese Zahl?
Wir liegen mit diesem Prozentsatz deutlich unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. Das hat mehrere Gründe: Ein wichtiger Faktor ist sicherlich die Organisation unserer Abteilung, die es uns erlaubt, bei Problemen sehr schnell einzugreifen. Dank unseres Bereitschaftssystems, das Mutter und Kind grösstmögliche Sicherheit bietet, können wir rund um die Uhr innerhalb einer Viertelstunde einen Kaiserschnitt machen. Im Gebärsaal sind Tag und Nacht eine Hebamme, ein Assistenzarzt und ein Oberarzt anwesend. Zudem ist ein Abteilungs-Chefarzt rund um die Uhr telefonisch auf Pikett. Dies erlaubt es uns, auch in schwierigen Fällen möglichst lange auf eine natürliche Geburt hinzuarbeiten.
Bevorzugen Sie eine natürliche Geburt, wenn es möglich ist?
Ja. Bevor wir chirurgisch eingreifen, werden zuerst alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft. Ist zum Beispiel der Herzschlag des Kindes auffällig, können wir eine Blutentnahme an seiner Kopfhaut machen. Dadurch erhalten wir Gewissheit, dass das Kind genügend Sauerstoffreserven hat, und können der natürlichen Geburt ihren Lauf lassen.
Verdient ein Arzt bei einem Kaiserschnitt mehr als bei einer natürlichen Geburt?
Nein. Jedenfalls nicht im Spital Wallis. Wir werden pro Fall bezahlt, unabhängig von der Art der Geburt. Bei den Privaten ist das wahrscheinlich anders – daher kommen die Gerüchte, denke ich.
In welchen Fällen wird von Vornherein ein Kaiserschnitt geplant?
Es gibt verschiedene mögliche Szenarien, zum Beispiel Vernarbungen in der Gebärmutter aufgrund mehrerer früherer Kaiserschnitte, eine Fehlposition des Babys, Mehrfachschwangerschaften, bestimmte Krankheiten der Mutter (sehr hoher Blutdruck, Diabetes, Herzkrankheiten, HIV usw.), bestimmte Eierstockzysten oder Gebärmuttermyome sowie Anomalien bei der Plazentabildung (placenta praevia). Aber jeder Fall ist einzigartig und muss individuell betrachtet werden.
Wann muss man notfallmässig einen Kaiserschnitt machen?
Auch hier gibt es verschiedene mögliche Gründe, z.B. wenn die Nabelschnur abgeklemmt wird (Nabelschnurvorfall). Das Kind erhält dann nicht mehr genug Sauerstoff und die Situation muss schnell entschärft werden. Ein notfallmässiger Kaiserschnitt wird auch durchgeführt, wenn Verdacht auf eine Plazenta-Ablösung besteht, eine Gebärmutternarbe aufreisst oder sich der Herzschlag des Kindes auf beunruhigende Weise verlangsamt. Nicht zuletzt ist ein chirurgischer Eingriff notwendig, wenn es mit der Geburt nicht «vorwärtsgeht» und sich der Gebärmutterhals nicht weitet.
Wenn ein Kind in Steisslage ist, wird dann immer ein Kaiserschnitt gemacht?
Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Als ich im Universitätsspital Genf meine Ausbildung absolvierte, wurden Kinder in Steisslage regelmässig auf natürlichem Weg auf die Welt gebracht. Aufgrund vieler dramatischer Fälle folgte danach eine Phase, in der man bei Steisslage fast immer einen Kaiserschnitt machte. Seit einigen Jahren beobachten wir in einigen Universitätsspitälern wie z.B. in Lausanne oder Genf nun wieder eine Umkehr der Tendenz: Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, wird dort den Müttern vorgeschlagen, auch bei Steisslage natürlich zu gebären. Bei uns in Sitten empfehlen wir bei Steisslage aus Sicherheitsgründen jedoch einen Kaiserschnitt, denn uns fehlt bei Steissgeburten die Erfahrung eines Universitätsspitals.
Wie sieht es bei Zwillingsgeburten aus?
Liegen beide Kinder kopfvoran im Geburtskanal, wird die Geburt normal vaginal durchgeführt. Ist eines der Babys jedoch in Steisslage, machen wir systematisch einen Kaiserschnitt.
Ist der Kaiserschnitt bei über 40-jährigen Frauen Standard?
Nein. Für uns spielt das Alter der Mutter keine Rolle bei der Frage, ob ein Kaiserschnitt nötig ist oder nicht. Wir wenden bei allen dieselbe Risikoevaluation an. Allerdings haben Mütter, die älter als 40 Jahre sind, ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko, wenn das Kind am errechneten Termin noch nicht geboren wurde. Deshalb leiten wir bei den über 40-Jährigen die Geburt ein, wenn der Termin verstrichen ist.
Wenn eine Frau bereits einmal einen Kaiserschnitt hatte, kann sie dann noch normal gebären?
Ja, das kommt immer häufiger vor. Rund um die 36. Schwangerschaftswoche messen wir per Ultraschall die Dicke der Narbe in der Gebärmutter. Wenn sie dick genug ist, geben wir grünes Licht für eine normale vaginale Geburt. Ansonsten planen wir einen Kaiserschnitt.
Machen Sie auch Kaiserschnitte auf Wunsch?
Ja, rund 10 bis 15 Mal pro Jahr. Es gibt viele soziokulturelle und psychologische Faktoren, die den Ausschlag für einen «Wunschkaiserschnitt» geben können. Im eher ländlich geprägten Wallis ist dies weniger ein Thema. In bestimmten Kulturen wie im arabischen Raum, in China oder Brasilien ist der Kaiserschnitt ein Zeichen für einen hohen sozialen Status. Bei uns wünschen sich manchmal Frauen einen Kaiserschnitt, weil sie eine traumatische Erstgeburt hinter sich haben oder grosse Angst vor einer vaginalen Geburt haben.
Akzeptieren Sie solche «Wunschkaiserschnitte» ohne Probleme?
Im Allgemeinen ja, besonders wenn die Frau bereits eine traumatische Geburt hatte. Wir führen mit den werdenden Eltern ein klärendes Gespräch, in dem wir die Vor- und Nachteile beider Geburtsarten ausführlich erklären. Es ist wichtig, dass die Frau in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden kann. Zudem muss vor jedem Kaiserschnitt eine Einwilligungserklärung unterzeichnet werden.
Hat die Frau Ihrer Meinung nach ein Recht darauf, die Geburtsmethode zu wählen?
Ja, weil es ihr Körper ist. In den vielen Jahren, in denen ich in der Geburtshilfe tätig bin, habe ich oft gesehen, wie Frauen den Geburtsverlauf emotional steuern können. Wenn sie zu viel Angst haben, zögern sie die Geburt hinaus. Es klingt unglaublich, aber sie halten dann das Kind quasi in ihrem Körper zurück. In diesen seltenen Fällen ist ein Kaiserschnitt sicher eine gute Lösung.
Welches sind die grössten Risiken für die Mutter bei einem Kaiserschnitt?
Man darf nicht vergessen, dass es sich um einen chirurgischen Eingriff handelt. Um zur Gebärmutter zu gelangen, müssen wir den Unterleib öffnen und die Muskeln zur Seite schieben. Auch wenn wir dies alles sehr vorsichtig machen, lassen sich Verletzungen an den umliegenden Organen – besonders der Blase – nicht ganz ausschliessen. Wie bei allen Operationen besteht ein Infektionsrisiko. Zudem gibt es bei einem Kaiserschnitt ein höheres Blutungsrisiko als bei einer normalen Geburt. Nicht zuletzt hinterlässt ein Kaiserschnitt eine Narbe am Bauch und an der Gebärmutter, was bei einer künftigen Schwangerschaft Probleme bereiten könnte, zum Beispiel eine Fehlbildung der Plazenta an der Gebärmutternarbe. Hier gilt es besonders die Placenta acretta zu erwähnen, bei der Teile der Plazenta mit der Gebärmutter verwachsen. Dies kann sehr gefährlich sein und starke Blutungen verursachen.
Wird das emotionale Mutter-Kind-Verhältnis durch einen Kaiserschnitt gestört?
Sagen wir mal so: Das Verhältnis entwickelt sich anders und der Vater hat eine wichtigere Rolle. Wir führen Kaiserschnitte unter Spinalanästhesie durch. Das heisst: Nur der untere Teil des Körpers «schläft». Das hat den Vorteil, dass die Mutter die Geburt trotz Betäubung miterlebt und der Vater anwesend sein kann. Da die Mutter nach der Geburt chirurgisch weiterbehandelt werden muss, erhält der Vater die Gelegenheit, den Haut-zu-Haut-Kontakt mit dem Neugeborenen herzustellen. Dies ist ein sehr spezieller Moment, der eine intensive Vater-Kind-Bindung ermöglicht.
Was raten Sie einer Frau, die sich wegen eines Kaiserschnitts Gedanken macht?
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es am schlimmsten ist, wenn die Eltern alles im Voraus genauestens planen und es dann nicht so läuft wie vorgesehen. Wir leben in einer Gesellschaft, die alles vorausplanen und kontrollieren will. Doch bei Schwangerschaften und Geburten lässt sich nicht immer alles vorhersehen. Dieser Kontrollverlust gehört nun einmal dazu. Meiner Meinung nach erlebt man die Geburt am besten, wenn man sich nicht zu sehr auf etwas versteift und für alles offenbleibt. In den meisten Fällen erfolgt die Geburt auf natürliche Art und Weise. Kommt es jedoch zu Komplikationen, haben wir eine ganze Palette von Möglichkeiten, darunter der Kaiserschnitt. Auch wenn der Gedanke an einen Kaiserschnitt Angst einflössen kann, darf man nicht vergessen, was der Hauptgrund für diese Methode ist: Leben zu retten oder zumindest schwerwiegende Komplikationen für Mutter und Kind zu verhindern. Am Ende zählt nur, dass Mutter, Kind und Vater wohlauf sind.
Dr. Plaschy Moradi