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Der Ethikrat – flexibler Ratgeber in schwierigen Zeiten

Die Krise, die wir momentan durchleben, bedingt aussergewöhnliche Massnahmen – nicht nur in unserem gesellschaftlichen Leben, sondern auch im Spital. Da wäre zum Beispiel das eingeschränkte Besuchsrecht, das den Patienten und Angehörigen viel abverlangt, aber auch für die Spitalmitarbeitenden, die diese Einschränkung erklären und umsetzen müssen, schwierig ist. Diese noch nie dagewesene Situation wirft auch ethische Fragen auf. Daher hat das Spital Wallis alles in die Wege geleitet, damit der klinische Ethikrat den Mitarbeitenden bei Bedarf schnell Unterstützung bieten kann.

Die Aufgabe des klinischen Ethikrates 

Der klinische Ethikrat des Spital Wallis wurde 2014 geschaffen. Er steht den Spitalteams bei ethischen Fragen unterstützend und beratend zur Seite. Zudem beantwortet er auch Anfragen von Patienten des Spital Wallis und von externen Gesundheitsfachpersonen, die Patienten des Spital Wallis (weiter)betreuen. Nicht zuletzt beteiligt sich der klinische Ethikrat an der Schulung und Sensibilisierung der Spitalmitarbeitenden für ethische Fragestellungen. 

Was versteht man unter einer «ethischen Frage»?

Wenn sich das berufsethische Empfinden einer Gesundheitsfachperson nicht mit dem Willen des Patienten deckt oder wenn – wie im Falle der aktuellen Pandemie – aussergewöhnliche Massnahmen notwendig sind – können Wertekonflikte entstehen. «Einen Wertekonflikt könnte man als inneres Unbehagen im Zusammenhang mit einer konkreten klinischen Situation beschreiben», sagt Dr. Annouk Perret Morisoli, Vizepräsidentin des klinischen Ethikrates und Leitende Ärztin auf der Abteilung Anästhesie und Reanimation im Spital Sitten.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie könnten z.B. folgende Punkte zu ethischen Fragen führen:

  • Eingeschränktes oder aufgehobenes Besuchsrecht, Trennung der Patienten von ihren Angehörigen: kann als Entzug eines Grundrechts empfunden werden (z.B. wenn der Vater bei einem geplanten Kaiserschnitt nicht anwesend sein kann).
  • Freiheitseinschränkende Massnahmen für nicht urteilsfähige Coronavirus-Patienten, weil sie ansonsten ihre Zimmer verlassen und andere Patienten und das Pflegepersonal anstecken könnten.
  • Nichtbehandlung von «nicht notfallmässigen» Patienten, die an etwas anderem als an COVID-19 leiden.
  • Bestimmung der Reihenfolge der zu behandelnden Patienten auf der Intensivstation im Falle eines massiven Patientenaufkommens (Triage).  

Mehr Flexibilität und Reaktivität

Um schnell Antworten auf die spezifischen Fragen in Zusammenhang mit der momentanen Situation zu finden, hat der klinische Ethikrat seine Organisation flexibler gestaltet. «Da die Spitalteams oft sehr beschäftigt sind, versuchen wir Zeit zu gewinnen, indem wir direkt zu ihnen gehen oder Videokonferenzen anbieten», erklärt Damian König, Präsident des klinischen Ethikrates. Es werden möglichst schnell Antworten geliefert.

Wer kann sich an den klinischen Ethikrat wenden?

Alle Mitarbeitenden und Patienten des Spital Wallis sowie deren Angehörige können sich jederzeit direkt an den klinischen Ethikrat richten.

Nicht nur während, sondern auch vor und nach dem Spitalaufenthalt

Der klinische Ethikrat des Spital Wallis arbeitet eng mit externen Partnern wie Hausärzten und Altersheimen zusammen. «Oft geschieht diese Zusammenarbeit vor oder nach einem Spitalaufenthalt», sagt Damian König.

Unverbindliche Beratung

Die Ratschläge des klinischen Ethikrates sind stets unverbindlich. Die Gesundheitsfachpersonen entscheiden selber, inwiefern sie sich daran halten möchten. «Sie schenken uns ihr Vertrauen und beschreiben klinische Situationen, die Fragen aufwerfen», so Dr. Damian König, «doch es ist wichtig zu wissen, dass wir nur eine beratende Funktion haben.»

Vorgaben für die Triage im Falle einer Überlastung der Intensivstation

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat Richtlinien für die Triage auf Intensivstationen herausgegeben, welche im Falle von Engpässen zur Anwendung gelangen könnten. «Ziel dieser Richtlinien ist es, einheitliche Kriterien zu gewährleisten, um Willkür zu vermeiden», unterstreicht Damian König. «Zum Glück blieb das Spital Wallis bis jetzt vor einer solchen Situation verschont und wir hoffen, dass wir diese Richtlinien niemals anwenden müssen.» «Auf der Intensivstation gelten – wie auch auf den anderen Spitalstationen – gewisse Zulassungskriterien, doch dass wir wirklich Personen, welche diese Kriterien in Normalzeiten erfüllen würden, abweisen mussten, so weit kam es noch nicht», fügt Dr. Perret Morisoli an. 

Die Intensivstation ist bereit, die Richtlinien der SAMW umzusetzen, wenn es nötig sein sollte

Die Abteilung für Intensivmedizin hat die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften in einen Aktionsplan überführt, welcher bei Bedarf aktiviert wird. «Der Übergang zur Stufe A der SAMW-Richtlinien erfolgt nicht durch ein nationales Dekret, sondern anhand der spezifischen Situation des einzelnen Spitals und des Belegungsgrads der Intensivpflegebetten», erklärt Damian König. 

Eine historische Situation

«Vom medizin-ethischen Standpunkt her gesehen gab es zwar schon ähnliche Situationen in anderen Ländern, zum Beispiel die SARS-Epidemie 2002-2004», so Damian König, «aber noch nie haben wir so etwas in der Schweiz erlebt.» Die klinische Ethik war in der Schweiz selten so gefordert. «Seit mehreren Wochen besprechen sich die klinischen Ethiker der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und der anderen Gesundheitsinstitutionen des Landes wöchentlich, um möglichst adäquate Grundlagen für die Antworten auf die ethischen Fragen in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie zu schaffen», sagt Damian König.

Über den Autor/die Autorin

Francesca Genini-Ongaro

Collaboratrice spécialisée en communication

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