Dr. Nadia Amyai, Leitende Ärztin in der Abteilung innere Medizin, berichtet über ihre Erfahrung mit der Erkrankung, die ihr berufliches und privates Leben mehr als ein Jahr lang beeinträchtigt hat.
Ihre ersten Erfahrungen mit Covid
Die belgische Ärztin wechselt im November 2019 beruflich vom Universitätsspital Genf ins Spital Wallis und übt ihre Arbeit in der inneren Medizin mit viel Motivation und Begeisterung aus. «Ich setze mich voll für die innere Medizin ein, die sich mit vielfältigen Erkrankungen befasst und bei der Hospitalisation der Patientinnen und Patienten an vorderster Front steht».
Vier Monate später bricht in der ganzen Welt die Covid-19-Pandemie aus. Gemäss ihrem Verständnis der Medizin übernimmt sie eine Arbeit in der Station, die spezifisch für die Versorgung von Covid-Patientinnen und -Patienten eingerichtet worden ist. Sie setzt sich physisch und psychisch für die Betreuung der zahlreichen erkrankten Personen ein. Dabei wird ihre Frustration immer grösser: «Oft konnten wir Patientinnen und Patienten nur unterstützen und hoffen, dass es ihnen ohne eine Versorgung in der Intensivpflege wieder besser geht.» Die Abteilung innere Medizin wird geradezu überflutet und die Teams müssen ihre Anstrengungen verdoppeln. Rasch werden sie von Physiotherapeutinnen und -therapeuten unterstützt, um die Mobilisierung und Autonomie der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Auch Pneumologinnen und Pneumologen setzen sich ein, damit die Beatmung und die Sauerstoffzugabe für die erkrankten Personen gewährleisten werden können. «Wir unternahmen das Maximum, um zu verhindern, dass sie auf die Intensivpflege verlegt und intubiert werden mussten.»
Das positive Ergebnis
Tage, Wochen und Monate vergehen und die Sorgen werden immer grösser: «Wir wussten, dass wir exponiert waren und trotz Masken, Handschuhen und anderer Massnahmen früher oder später mit diesem Virus in Kontakt kommen würden. Damals gab es noch keine Impfung.»
Im November 2020, zwei Tage nach ihrem Geburtstag, hustet Dr. Amyai andauernd und verspürt eine grosse Müdigkeit. Vorerst relativiert sie ihren Zustand. «Das ist nach den vielen intensiven Monaten eigentlich nicht erstaunlich, sagte ich zu mir.» Trotzdem lässt sie sich testen und das Ergebnis ist positiv. Schon am gleichen Tag treten bei ihr akutere Symptome der Erkrankung auf. Sie leidet unter Nervenschmerzen, die ihren ganzen Körper durchströmen, starken Kopfschmerzen, Müdigkeit und anhaltendem Husten. «Ich wusste, dass 10 schwere Tage vor mir lagen, aber dass die Schmerzen verschwinden würden. Nach der Isolation konnte ich meine Arbeit wieder aufnehmen, aber die Müdigkeit und die Atembeschwerden hielten an.»
Die Wiederaufnahme von Sport
Einige Wochen später beschliesst sie, ihr tägliches Lauftraining wieder aufzunehmen, da sie am Halbmarathon von Lausanne teilnehmen will. «Da stellte ich fest, dass es unmöglich war, 5 bis 10 Minuten unter grösserer Anstrengung zu laufen. Ich dachte zu mir selbst, das ist normal, da ich gerade die Krankheit überstanden hatte und mich in einer Erholungsphase befand.»
Sie beschliesst, den Sport mit Bergwanderungen langsam wieder anzugehen. Aber auch hier stellt sie dasselbe fest. Sie gerät sogar ausser Atem und ermüdet, wenn sie nur schon zu Fuss 2,5 km zur Arbeit geht. «Da musste ich mir eingestehen, dass ich wirklich ein kleines Problem hatte … Ich war ständig müde, obwohl ich manchmal bis zu 12 Stunden schlief! Aber wenn ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, nur 2 Stunden geschlafen zu haben…» Gleichzeitig hat sie grosse Mühe, sich zu konzentrieren oder intensiver zu überlegen.
Mehrere Monate nach ihrer Covid-Infektion kann Dr. Amyai immer noch nicht mehr als zwei Stockwerke Treppen hochsteigen. Es ist ihr auch nicht möglich, ihre übliche sportliche Aktivität wieder aufzunehmen. So beschliesst sie, die Pneumologinnen und Pneumologen des Spitals zu konsultieren. Nach den ersten Tests und Untersuchungen wird eine dysfunktionale und sehr unregelmässige Atmung festgestellt. In Begleitung der Physiotherapeutinnen und -therapeuten wird sie sich der Tatsache bewusst, dass bei ihr sogar im Ruhezustand Zeichen einer Hyperventilation vorliegen. «Obwohl ich Ärztin bin, bemerkte ich das vorher nicht. Dabei verfolge ich in meiner täglichen Arbeit mit den Patientinnen und Patienten diese Anzeichen sehr aufmerksam. Wie sagt man so schön: «Es sind die Schuhmacher, welche die schlechtesten Schuhe tragen»(lächelt).».
Pulmonale Rehabilitation
Sie kann vorübergehend nicht mehr arbeiten, was sie einerseits entlastet. Andererseits macht sie sich aber auch Sorgen um ihren kognitiven Zustand. Deshalb beginnt sie im CHVR mit einem pulmonalen Rehabilitationsprogramm für Patientinnen und Patienten mit Long-Covid. Rasch machen sich erste Ergebnisse bemerkbar und sie kann ihre berufliche Arbeit wieder aufnehmen. In den folgenden 4 Monaten hält sie sich gewissenhaft und peinlich genau an die Atemtrainings und -übungen, die von den Physiotherapeutinnen und -therapeuten empfohlen worden sind. Schrittweise nimmt sie auch ihre sportlichen Aktivitäten wieder auf, bis sie eine Leistung erreicht, die praktisch derjenigen vor der Erkrankung entspricht.
Noch heute muss sie zu Beginn eines Trainings auf ihre Atmung achten. Aber sie ist froh, dass sie wieder über ihre volle Energie, Konzentration und Atmung verfügt.
«Nach der Erkrankung braucht man eine gewisse Erholungszeit. Wenn jedoch Symptome wie Müdigkeit, Konzentrationsschwächen oder Atembeschwerden länger als einen Monat anhalten, ist es wichtig, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen. Auch die Hausärztinnen und -ärzte schenken diesen Problemen vermehrt Aufmerksamkeit, da sie von den Kolloquien und Schulungen profitieren können, die von den Pneumologinnen und Pneumologen angeboten werden.»
Mit diesem Erfahrungsbericht will Dr. Amyai allen Teams danken, die ihr geholfen haben, Long-Covid zu verarbeiten. Dank ihrer Unterstützung kann sie persönlich und beruflich wieder so leben wie vor der Erkrankung.
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