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« Meine Arbeit steht in Zusammenhang mit Polizei und Justiz »

10% aller kontrollierten Fahrzeugführer stehen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – Tendenz steigend. Kein Wunder also, dass die Polizei und Justiz immer häufiger die Zusammenarbeit mit Toxikologen sucht.

Als stellvertretender Chefbiologe des Zentralinstituts der Spitäler (ZIS) und scharfer Beobachter der neuesten Entwicklungen im Bereich des Alkohol- und Drogenkonsums stellt der Toxikologe Nicolas Donzé eine explosionsartige Zunahme des Cannabiskonsums bei Autofahrern fest. Toxikologie, Polizei und Justiz haben deshalb viel zu tun und arbeiten eng zusammen.

Nicolas Donzé, wie viel Ihrer Arbeit steht in Zusammenhang mit Polizei und Justiz?
In Arbeitsstunden lässt sich das nur schwer beziffern, aber 90% aller Anfragen, welche die Abteilung für forensische Toxikologie des ZIS erhält, stammen von Polizei und Justiz.

Wie hat man sich das konkret vorzustellen?
Wir bekommen die Proben in einem versiegelten Behälter, anonym und verwechslungssicher. Diese werden dann im Labor analysiert und der Anfragesteller erhält die Resultate samt Erklärung.

Und das wars?
Nein, unsere Zusammenarbeit geht noch weiter. Es gilt zu bedenken, dass die Empfänger der Resultate meist Nicht-Mediziner sind. Wenn nötig, informieren wir sie deshalb per Telefon, wie die Resultate genau zu interpretieren sind. Ich bin rund um die Uhr erreichbar und jeder Polizist kann mich anrufen. Das kommt übrigens oft vor. Manchmal kann ich nicht alle Fragen beantworten, denn ich bin Toxikologe, kein Arzt. Aber in jedem Fall kann ich erklären, was wir im Blut gefunden haben.

Werden die Polizisten selber auch dafür ausgebildet, zu erkennen, ob jemand unter Drogeneinfluss steht?
Ja, gerade auch dank der Zusammenarbeit mit uns. Als ich 2004 mit dieser Arbeit anfing, schickten wir der Polizei einfach die «nackten» Resultate und damit hatte es sich. Wir traten nicht wirklich miteinander in Kontakt. Deshalb traf ich mich einmal mit der Polizei, um zu sehen, ob wir etwas optimieren könnten. Dabei wurde schnell klar, dass es viele offene Fragen gibt und die Polizei eine bessere Erklärung der Laborresultate schätzen würde. So gebe ich heute regelmässig Kurse an der Polizeiakademie von Savatan. Das ist sehr interessant, weil ich dort direkt jene Leute für Drogenfragen sensibilisieren kann, die hautnah damit zu tun haben. Wir arbeiten insbesondere nach der amerikanischen Methode für «drug recognition experts», die es erlaubt, schnell zu erkennen, ob jemand unter Drogeneinfluss steht.

Ist es denn nicht offensichtlich, ob jemand unter Drogeneinfluss steht oder nicht?
Nein. Man kann mit roten Augen und müdem Gesichtsausdruck am Steuer sitzen, ohne zwangsläufig Cannabis konsumiert zu haben. Im Gegensatz zu Alkohol darf gesetzlich nur dann ein Drogentest gemacht werden, wenn Symptome für einen möglichen Drogenkonsum vorhanden sind. Der Polizist muss diese Symptome kennen, um eine erste Einschätzung vornehmen zu können. Niemand soll unnötigerweise umfangreichen Untersuchungen ausgesetzt werden, denn ist die Justizmaschinerie einmal in Gang gesetzt, kann es für die betroffene Person schnell unangenehm werden… umso wichtiger also, dass dies nur dann geschieht, wenn wirklich Grund zur Annahme besteht, dass jemand Drogen genommen hat.

Nehmen die Fälle von Drogen am Steuer zu?
Ja. Bei rund 10% der 15’000 Verkehrskontrollen, welche die Polizei jedes Jahr im Wallis durchführt, stehen die Fahrzeugführer unter dem Einfluss einer psychoaktiven Substanz. In 30 bis 40% der Fälle handelt sich dabei nicht um Alkohol, sondern um andere Substanzen, insbesondere Cannabis. Überhaupt scheint der Cannabiskonsum explosionsartig zugenommen zu haben. Über 50% der Autofahrer, die unter Cannabiseinfluss erwischt wurden, kiffen täglich. Immer häufiger werden auch Drogen gemischt. Die heutige Erlebnisgesellschaft nimmt einfach, was sie gerade bekommt.

Sie müssen also immer mehr Drogenanalysen durchführen?
Haben wir im Jahr 2004 noch 30 Drogenfälle pro Jahr analysiert (ohne Alkoholfälle), sind wir mittlerweile bei über 300 angelangt. Hingegen sind die Analysen in Zusammenhang mit Alkohol stark zurückgegangen, weil die Resultate der Atem-Alkoholmessgeräte neuerdings rechtliche Beweiskraft haben. Ein Bluttest ist also nicht mehr nötig. Vor der Gesetzesänderung führten wir etwa 1’000 Alkoholanalysen pro Jahr durch, mit einem durchschnittlichen Wert von 1,5 Promille.

Wir haben jetzt hauptsächlich von Verkehrskontrollen geredet, aber Sie arbeiten ja auch in anderen Bereichen mit der Justiz zusammen…
Ja, zum Beispiel mit der Staatsanwaltschaft. Oft steht die Frage im Raum, ob ein bestimmtes Verhalten auf Drogenkonsum zurückzuführen ist, denn dies ist eine beliebte «Ausrede». Unsere Aufgabe ist es, die Justiz mit objektiven Fakten zu versorgen, die den Angeklagten je nachdem belasten oder entlasten. Wurde bei einem Mörder ein Alkoholspiegel von 3 Promille festgestellt, wird sein Anwalt zu beweisen versuchen, dass sein Mandant nicht wusste, was er tat. Unsere Analysen könnten aber darauf hinweisen, dass es sich um einen gewohnten Trinker handelt, der auch mit 3 Promille noch genau wusste, was er tat. Wir liefern Resultate und Erklärungen. Für die weitere Bearbeitung ist jeder selber verantwortlich.

Wie stellen Sie die Qualität Ihrer Arbeit sicher?
Wir arbeiten eng mit dem Westschweizer Universitätszentrum für Rechtsmedizin zusammen. Und die Berichte werden immer von zwei wissenschaftlichen Mitarbeitenden unterschrieben. Bei der grossen Anzahl Dossiers, die wir zu behandeln haben, ist es sehr wichtig, die Qualität nie aus den Augen zu verlieren.

Über den Autor/die Autorin

Joakim Faiss

Journaliste - Collaborateur spécialisé en communication

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