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Das Raynaud-Phänomen: Kälte bis in die Fingerspitzen

Eine kurze Kälteeinwirkung oder Stress genügen, damit Ihre Finger, Zehen, Ohren oder die Nasenspitze kalt und gefühllos werden. Wie 3 bis 5 % der Bevölkerung leiden Sie vielleicht unter dem Raynaud-Phänomen, einer Gefässstörung, die vorübergehend verhindert, dass die Extremitäten Ihres Körpers mit Blut und Sauerstoff versorgt werden. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um ein schwerwiegendes Phänomen, aber es kann auch das erste Anzeichen einer Autoimmunerkrankung sein. Gespräch mit Dr. Lionel Arlettaz, Chefarzt der Abteilung Immunologie-Allergologie des Zentralinstituts der Spitäler (ZIS).

Raynaud: ein Phänomen in drei Phasen

Dieses Phänomen ist erstmals 1862 von Maurice Raynaud beschrieben worden. Es äussert sich in einer Taubheit und einer sehr klaren Verfärbung der Extremitäten des Körpers. Betroffen sind hauptsächlich die Fingerspitzen, aber das Phänomen kann auch in Zehen, Nase und Ohren auftreten. «Das Raynaud-Phänomen wird im Allgemeinen durch Kälte oder emotionalen Stress ausgelöst, welche den Blutkreislauf in den Extremitäten ungewöhnlich stark reduzieren», präzisiert Dr. Arlettaz, der erläutert, dass die Störung in drei Phasen verläuft:

  • Die «weisse» oder synkopische Phase, die einem plötzlichen Unterbruch des Blutkreislaufs entspricht.
  • Die «blaue» oder zyanotische Phase aufgrund eines Sauerstoffmangels.
  • Die «rote» Phase oder die Phase der Erholung, sobald das Blut wieder zirkuliert. Diese Phase ist von Juckreiz begleitet und kann schmerzhaft sein.

Die Dauer dieser vorübergehenden Störung ist bei jeder Person unterschiedlich, hängt jedoch auch vom auslösenden Element ab. Je länger die Person in der Kälte ausharrt, umso länger hält das Phänomen tendenziell an. Obwohl die Beschwerden aufgrund der kälteren Temperaturen häufiger im Winter zu beobachten ist, können sie auch durch eine kurze Kälteeinwirkung ausgelöst werden. «Bei gewissen Personen tritt das Phänomen unabhängig von der Jahreszeit bereits auf, wenn sie zum Beispiel eine Flasche aus dem Kühlschrank nehmen, den Salat waschen oder einen Luftzug im Nacken spüren», führt der Facharzt aus.

Physiologische Ursachen versus pathologische Ursachen

Das Phänomen kann physiologischen Ursprungs und unbedeutend sein, obwohl es störend ist. In anderen Fällen kann es aber mit einer zugrundeliegenden Autoimmunerkrankung in Verbindung stehen. Das «physiologische» Raynaud-Phänomen ist oft familienbedingt und betrifft vor allem junge Frauen im Alter von 15 bis 30 Jahren. «Falls es sich nicht speziell weiterentwickelt, besteht kein Grund zur Beunruhigung. Bevor eine medikamentöse Behandlung in Betracht gezogen wird, müssen zuerst die Hygienemassnahmen angepasst werden», erklärt der Facharzt, der präzisiert: «Unter Hygienemassnahmen ist hier im Winter das Tragen eines Schals, von Handschuhen und wärmenden Schuhen zu verstehen, um den Körper aufzuwärmen.»

In pathologischen Fällen verschlimmert sich das Phänomen tendenziell mit der Zeit. «Wenn die Störung von einem Tag auf den anderen auftritt und sich rasch verschlimmert (das heisst, wenn von einem Jahr zum anderen oder von einer Saison zur anderen ein deutlicher Unterschied besteht), müssen Untersuchungen durchgeführt werden, um festzustellen, ob die Ursache in einer allfälligen Pathologie liegt», warnt Dr. Arlettaz. «Das Raynaud-Phänomen ist eines der ersten Symptome, die bei gewissen Erkrankungen wie der Sklerodermie auftreten.» Die assoziierten Erkrankungen werden grundsätzlich Konnektivitäten genannt (Gesamtheit der Erkrankungen in Verbindung mit einer immunologischen und inflammatorischen Beeinträchtigung des Bindegewebes mit Läsionen an verschiedenen Stellen des Körpers: Systemischer Lupus Erythematodes, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom, Rheumatoide Polyarthritis, Polymyositis, usw.).

Für Dr. Arlettaz kann auch eine zunehmende Dickflüssigkeit des Bluts die Ursache sein. «Wenn zum Beispiel im Kontext einer hämatologischen Erkrankung zu viele rote oder weisse Blutkörperchen vorhanden sind, wird das Blut dickflüssiger, was seinen Durchfluss in den kleinen Blutgefässen der Finger beeinträchtigt.»

Der Ursprung kann auch traumatischer Art sein. «Intensive Vibrationen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit, die insbesondere bei der Benutzung von vibrierenden Geräten wie einem Presslufthammer auftreten, können vaskuläre Anomalien hervorrufen, welche dieses Phänomen auslösen», erwähnt der Chefarzt als Beispiel.

Diagnose und Behandlung

Vorerst wird eine Anamnese aufgenommen, um nach anderen Symptomen zu suchen, die mit den Konnektivitäten, den inflammatorischen Erkrankungen oder anderen Ursachen des Raynaud-Phänomens assoziiert sind: Verletzungen, Medikamenteneinnahme, Blut- oder Gelenkprobleme, Zusammenhänge mit der Haut, usw. «Wenn es in Bezug auf das sekundäre Raynaud-Phänomen Zweifel gibt, führen wir eine Kapillaroskopie und eine immunologische Bilanz durch», erläutert Dr. Arlettaz.

Kapillaroskopie

Mit der Kapillaroskopie können über die transparente Haut die Kapillargefässe visualisiert werden. Bei dieser Untersuchung wird eine kleine Kamera in Verbindung mit einem Mikroskop eingesetzt. Im Zentrum stehen dabei die Kapillaren der Kutikula (kleine Haut an der Basis des Nagels). An dieser Stelle «liegen» die Kapillaren auf dem Nagel auf und man kann deren Ende erkennen. «Die gesunden Kapillaren sind dünn und haben die Form von Haarnadeln.  Bei einem sekundären Raynaud-Phänomen nehmen sie jedoch eine anormale Form an, verlieren ihre Feinheit und können bluten», erklärt der Facharzt.

Gesunde Kapillaren

Bei der Evaluation des Raynaud-Phänomens muss auch eine Blutbilanz realisiert werden, um besondere Antikörper zu suchen, die «Autoantikörper» genannt werden, weil sie Strukturen unseres eigenen Körpers erkennen können. Einige dieser Antikörper kommen spezifisch bei Autoimmunerkrankungen vor, die mit dem Raynaud-Phänomen in Verbindung stehen.

«In unserer Abteilung werden in Zusammenhang mit dem Raynaud-Phänomen mehrere Sprechstunden pro Monat durchgeführt. Im Herbst und im Winter ist eine Zunahme festzustellen», erklärt Dr. Arlettaz abschliessend.

Die Abteilung klinische Immunologie und Allergologie
Die Allergologie und die klinische Immunologie sind auf die Behandlung von Erkrankungen spezialisiert, die mit Anomalien des Immunsystems in Verbindung stehen. Diese Abteilung ist dem Zentralinstitut der Spitäler angegliedert und umfasst zwei Haupttätigkeiten:

Die klinische Tätigkeit: Die Fachärzte bieten den Patienten, die unter autoimmunen oder allergischen Erkrankungen leiden, ambulante Sprechstunden an. Die Ärzte beteiligen sich ebenfalls an der Versorgung von hospitalisierten Patienten.

Die Labortätigkeit betrifft hauptsächlich den Nachweis und die Bestimmung von zahlreichen Autoantikörpern, die mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung stehen. Unter der Verantwortung der Immunologie werden ebenfalls andere Analysen durchgeführt. Es handelt sich insbesondere um den Nachweis von Antikörpern in Verbindung mit Allergien (IgE), von Entzündungsmarkern, Tumormarkern und monoklonalen Gammopathien. Schliesslich sucht das Labor auch nach allfälligen angeborenen und erworbenen immunologischen Defiziten (Mangel an Antikörpern, lymphozytäre Typisierung für die Überwachung der HIV-Patienten). Die Abteilung Immunologie-Allergologie arbeitet für alle Spitalstandorte und praktischen Ärzte des Wallis und des Chablais. «Die Immunologie stellt rund 70 % unserer Tätigkeit dar», betont Dr. Lionel Arlettaz.


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Über den Autor/die Autorin

Malika Storelli

Collaboratrice spécialisée en communication

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