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Die Depression bei Jugendlichen besser verstehen

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Im aktuellen gesellschaftlichen Kontext gewinnt die Frage der psychischen Gesundheit der Jugendlichen zunehmend an Bedeutung. Diese Altersgruppe steht zahlreichen Herausforderungen gegenüber, die sich durch die Covid-19-Pandemie, welche sie besonders betroffen hat, noch zusätzlich verschärft wurden. Gemäss einer neuen Studie von Unisanté in Lausanne über das psychische Wohlbefinden der Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren in der Schweiz zeigen 37 % mässige oder schwere Anzeichen von Angstzuständen oder Depression. Aus verschiedenen Gründen bleibt dieser Leidensdruck oft unbeachtet. Um dieses komplexe und manchmal schwer zu erkennende Phänomen besser zu verstehen, haben wir uns mit Dr. Géraldine Petraglia, Leitende Ärztin in der Abteilung Psychiatrie-Psychotherapie für Kinder und Jugendliche, unterhalten.

Inwiefern unterscheidet sich die Depression bei Jugendlichen von derjenigen bei anderen Altersgruppen?
Dr Petraglia
Dr. Géraldine Petraglia, Leitende Ärztin in der Abteilung Psychiatrie-Psychotherapie für Kinder und Jugendliche

Die Depression bei Jugendlichen kann mit derjenigen bei Erwachsenen verglichen werden. Allerdings drückt sie sich anders aus. Allgemein sind eine Verschlechterung der Gemütslage, fehlendes Interesse für die üblichen Aktivitäten sowie eine Mangel an Energie und eine grosse Erschöpfung zu beobachten. Bei den Jugendlichen sind jedoch vermehrt Reizbarkeit und Aggressivität sowie risikoreiches Verhalten festzustellen. Sie können weiterhin ein aktives soziales Leben führen. Manchmal erleben sie sogar euphorische Momente. Die Gemütslage ist sehr labil und sie kann sich im Verlauf eines Tages mehrmals verändern.

Wie kann man Traurigkeit und Depression voneinander unterscheiden?

Traurigkeit ist ein normaler Gemütszustand, den in gewissen Situationen alle erleben. Die Depression ist jedoch anhaltend. Sie hat keinen systematischen Zusammenhang mit spezifischen Lebensumständen und sie wirkt sich auf das tägliche Leben aus. Im Gegensatz zu einer vorübergehenden Traurigkeit beeinträchtigt die Depression das Leben eines Jugendlichen stark.

Wie zeigt sich die Depression bei Jugendlichen? Welche Symptome und Verhaltensweisen können Sie beobachten?

Die Symptome einer Depression bei Jugendlichen schliessen eine Verschlechterung der Gemütslage, fehlendes Interesse für die üblichen Aktivitäten, fehlende Freude, anhaltende Erschöpfung, Angstzustände und wiederkehrende negative Gedanken ein. Eine Depression kann sich zudem auch in Reizbarkeit, risikoreichem Verhalten und einer schwankenden Gemütslage ausdrücken. Im Gegensatz zum traditionellen Bild einer Depression können Jugendliche Anzeichen einer Depression aufweisen und trotzdem ein aktives soziales Leben führen oder auch Momente der Freude empfinden.

Wie sind bei Jugendlichen die Anzeichen einer Depression zu erkennen, damit frühzeitig ein Fachperson beigezogen werden kann?

Es ist äusserst wichtig, Änderungen im Verhalten der Jugendlichen aufmerksam zu verfolgen. Veränderungen der täglichen Gewohnheiten, der sozialen Interaktionen, der Beteiligung an Aktivitäten der Familie und der Schule können Zeichen einer Notlage sein. Bedeutende Veränderungen, insbesondere ein sozialer Rückzug, ein nachlassender Einsatz in der Schule, Schlaf- oder Essensstörungen, sollten ernstgenommen werden. In solchen Fällen sind Gespräche oder die Konsultation einer Gesundheitsfachperson notwendig.

Gibt es Risikofaktoren oder Risikoprofile?

Bei Jugendlichen tragen mehrere Risikofaktoren zu einer Depression bei. Es handelt sich insbesondere um genetische Veranlagungen, Vorgeschichten mit Verletzungen oder Missbrauch sowie einen ängstlichen Charakter und fehlendes Selbstvertrauen. Auch das Umfeld spielt eine Rolle. Eine angsteinflössende oder stressauslösende Umgebung stellt ein zusätzliches Risiko dar.

Ist das Risiko der Jugendlichen für eine Depression grösser, wenn sie hypersensibel sind?

Die Definition des Begriffs “hypersensibel” müsste geklärt werden, denn es handelt sich nicht um eine Erkrankung an sich und der Begriff kann sich auf verschiedene Krankheitsbilder beziehen. Im Allgemeinen besteht für besonders sensible Jugendliche jedoch ein grösseres Risiko, an einer Depression zu leiden. Diese Tatsache kann damit in Verbindung gebracht werden, dass ihre Gefühle tendenziell intensiver sind und dass sie sich vermehrt Fragen zu sich selbst und zu ihrer Umgebung stellen.

Ist Suizid eine mögliche Folge der Depression?

Leider ja. Suizidäre Gedanken sind tatsächlich ein häufiges Symptom einer Depression bei Jugendlichen. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass die Depression das Risiko eines Suizids beträchtlich erhöhen kann, wenn keine angemessene Behandlung erfolgt.

Welche Haltung sollen Eltern, Freunde und Lehrpersonen einnehmen?

Es ist wichtig, mit dem Jugendlichen offen zu kommunizieren, Fragen zu stellen, sich für ihn zu interessieren, sein Verhalten aufmerksam zu beobachten und ihm eine emotionale Unterstützung anzubieten.

Welche Rolle spielt das Umfeld?

Das Umfeld sollte auf die Zeichen einer Notsituation achten und den Jugendlichen bei seiner Suche nach Hilfe unterstützen. Wenn man ihm wohlwollend zuhört, Aktivitäten fördert, die ihm Freude bereiten, und die positiven Aspekte hervorhebt, kann man zur Stärkung seines Selbstbewusstseins beitragen.

Soll man eine Fachperson (Hausarzt, Psychologe) beiziehen?

Wenn man sich Sorgen um die psychische Gesundheit eines Jugendlichen macht, wird empfohlen, vorerst den Hausarzt oder den Kinderarzt aufzusuchen. Diese Fachpersonen können die Situation beurteilen, die Anliegen des Jugendlichen und seiner Familie aufnehmen, wertvolle Informationen sammeln und anschliessend die geeigneten Ressourcen vorschlagen.

Welche Behandlung schlagen Sie vor?

Bei der Behandlung einer Depression bei Jugendlichen kann es sich unter anderem um eine Kombination aus psychotherapeutischer Unterstützung und, in gewissen Fällen, einer Medikation handeln. Die Psychotherapie hilft dem Jugendlichen, seine Gefühle zu erkennen und zu benennen, einen Sinn in dem zu finden, was mit ihm geschieht, Anpassungsstrategien zu entwickeln sowie seine sozialen Kompetenzen und sein Selbstbewusstsein zu stärken. Ein Spitalaufenthalt kann im Fall einer schweren Depression in Betracht gezogen werden, wenn eine intensivere Versorgung mit einer verstärkten professionellen Abstützung notwendig ist.

Welche Behandlungen stehen zur Verfügung?

Mittel- und langfristige Behandlungen schliessen die Psychotherapie, im Allgemeinen in Form von regelmässigen Sitzungen mit einem qualifizierten Therapeuten, sowie – im Fall einer schweren Depression – den Einsatz von Antidepressiva ein. Mit diesen Behandlungen sollen die depressiven Symptome gelindert und die Genesung des Jugendlichen gefördert werden.

Welche Rolle spielen die Medikamente?

Medikamente wie Antidepressiva können verordnet werden, um die depressiven Symptome des Jugendlichen zu lindern. Um die Ergebnisse der Behandlung zu optimieren, werden sie immer in Kombination mit der Psychotherapie eingesetzt. Es ist wichtig, die Empfehlungen des Arztes genau zu beachten und allfällige unerwünschte Nebenwirkungen zu überwachen.

Kann eine Depression bei Jugendlichen geheilt werden, oder bleiben sie ihr ganzes Leben lang gefährdet?

Ja, die Depression bei Jugendlichen kann behandelt werden. Das Hauptziel der Behandlung besteht in der Heilung. Bei gewissen Personen besteht jedoch ein grösseres Risiko, in Zukunft wieder depressive Episoden zu entwickeln. Eine regelmässige Betreuung durch Gesundheitsfachpersonen und das Erlernen von Strategien, um auf sich selbst zu achten, können dazu beitragen, dieses Risiko zu reduzieren und das Wohlergehen auf lange Sicht zu fördern.

Sehen Sie das Interview mit Dr. Géraldine Petraglia im Video (auf Französisch)

Nützliche Links
Gang nit: Walliser Verein für Suizidpreväntion 027 203 08 08
Pro Juventute (Zuhörbereitschaft und Ratschläge für Jugendliche): 147
Die Dargebotene Hand (Zuhörbereitschaft und Ratschläge für Erwachsene): 143
Netzwerk Krise und Suizid Wallis
Netzwerk Psychische Gesundheit Schweiz
Notrufnummer: 144


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Über den Autor/die Autorin

Francesca Genini-Ongaro

Collaboratrice spécialisée en communication