Zwei Jahre nach dem Auftreten der Pandemie sind die medizinischen Kenntnisse fortgeschritten und die zeitliche Distanz ermöglicht heute eine Standortbestimmung über die Auswirkungen des COVID auf Kinder. Ein Überblick mit den Chefärzten Pädiatrie im Oberwallis und im französischsprachigen Wallis, Dr. Simon Fluri und Dr. Juan Llor.
Seit dem Auftreten von COVID-19 leben Kinder, ebenso wie Erwachsene, in einem von Angst geprägten Umfeld, das schwer zu bewältigen ist. Obligatorisches Tragen der Maske, Quarantäne, Hygieneregeln, Lockdown. Die Pandemie hat das Leben von Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt. Die ständige Verpflichtung zur Anpassung an die neuen obligatorischen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie und die vielfältigen Veränderungen, die sich im täglichen Leben daraus ergeben, beschäftigen unsere Jugend.
Mussten im Spital Wallis Kinder aufgrund des Coronavirus hospitalisiert werden?
«Wegen schwerer Atemprobleme während der akuten Phase des COVID mussten im Spitalzentrum Oberwallis keine Kinder aufgenommen werden. Die wegen COVID hospitalisierten Kinder wiesen Symptome auf, die mit anderen eher gutartigen viralen Infektionen verglichen werden können. Allerdings trat bei einigen Jugendlichen das PIMS-Syndrom auf. Es handelt sich hierbei um eine Multi-Entzündungserkrankung, die Kinder betrifft. Die Erkrankung weist ähnliche Eigenschaften auf wie das Kawasaki-Syndrom und soll in direktem Zusammenhang mit einer COVID-Infektion stehen. Diese Komplikationen treten sehr selten auf und die Symptome sind leicht zu erkennen: Das Kind hat einen schlechteren Allgemeinzustand und es können Symptome wie Fieber, Exanthem (Hautrötung), Lymphadenopathie (Vergrösserung der Lymphknoten), Bindehautentzündung, Bauchschmerzen, Durchfall oder Erbrechen auftreten», erklärt Dr. Fluri, Chefarzt Pädiatrie des Spitalzentrums Oberwallis.
Und im Mittelwallis?
Im Mittelwallis präsentierte sich die Situation etwas anders. «Ende November wurden fünf Kinder und zwei Neugeborene wegen Corona hospitalisiert. Alle wiesen nur geringfügige Symptome auf. Seit Dezember 2021 erzeichnen wir mehrere Hospitalisationen pro Woche. Diese Kinder haben Atembeschwerden wie Bronchiolitis, Bronchitis oder Laryngitis. Manchmal benötigen sie eine Atemhilfe (BiPAP), die wir ihnen auch anbieten können. Fünf Jugendliche wurden mit einem PIMS-Syndrom hospitalisiert. Drei von ihnen mussten wir in die Intensivpflege verlegen. Diese Entzündung stand in Zusammenhang mit einer vor COVID bestehenden Infektion. Einige Wochen nach der Infektion kam es zu einer Reihe von Entzündungen und der Gesundheitszustand verschlechterte sich rasch. Es war ein langer Aufenthalt in der pädiatrischen Intensivpflege nötig.» Glücklicherweise kommt es nur sehr selten zu diesen Komplikationen und alle betroffenen Kinder konnten schliesslich gesund nach Hause entlassen werden.
Weshalb sind Kinder weniger von COVID betroffen als Erwachsene?
Aus epidemiologischer Sicht sind Kinder unter 6 Jahren weniger betroffen als Erwachsene. Die Tendenz der letzten Monate zeigt jedoch, dass die Infektionsrate bei Kindern über 12 Jahren jetzt gleich hoch wie bei Erwachsenen oder sogar höher ist.
«Eine mögliche Erklärung besteht in der Tatsache, dass die Kinder über eine bessere “innewohnende” Immunität verfügen. Diese nimmt mit zunehmendem Alter ab», erklärt Dr. Llor. «Die Kinder verfügen auch über ein Immunsystem, das sich mit der Zeit entwickelt und lernen muss, sich zu verteidigen. Die jüngeren Kinder müssen ihr Immunsystem ständig trainieren, wodurch sie besser geschützt sind. Zudem ist ihre Vaskularität besser», fügt Dr. Fluri hinzu.
Was halten Sie von der Impfung von Kindern unter 12 Jahren?
«Das ist eine heikle Frage. Aber das Risiko von Nebenwirkungen ist im Vergleich zum Nutzen der Impfung sehr gering. Wenn meine Kinder alt genug für die Impfung wären, hätten sie ihre Dosis bereits erhalten», präzisiert Dr. Fluri. «Auch wenn man gegenwärtig hoffen darf, dass uns die Variante Omikron aus der Pandemie herausführt.»
Dr. Llor ergänzt: «Die Impfung allein genügt nicht, man muss auch die grundlegenden Hygienemassnahmen (Maske und Händewaschen) einhalten. Die Hygieneregeln sind sehr wichtig, aber wir stellen fest, dass die Bevölkerung allmählich mit den Anstrengungen nachlässt, da sich gewisse Ermüdungserscheinungen einstellen. Das Ende des Tunnels ist wohl noch weit entfernt.»
Wie sehen Sie den weiteren Verlauf ?
«Kinderkrankheiten wie Bronchiolitis steigen gegenwärtig gegenüber einem sogenannten “normalen” Jahr stark an. Die in den letzten zwei Jahren getroffenen Massnahmen führten zu einem bedeutenden Rückgang der üblichen Infektionen und die Immunität der Kinder wurde zu wenig stimuliert. Ich mache mir also für den weiteren Verlauf der Wintersaison eher Sorgen, denn aktuell werden abgesehen von COVID viele virale Erkrankungen festgestellt, die eine Hospitalisation erfordern», erläutert Dr. Llor.
Im Oberwallis ist Dr. Fluri in Bezug auf die Kinder optimistischer: «Betreffend COVID-Infektionen mache ich mir keine grossen Sorgen um meine Patientinnen und Patienten. Mich beunruhigen eher die Erwachsenen und vor allem die ungeimpften Personen. Am schlimmsten wäre es, wenn wir in der Intensivpflege eine Triage vornehmen müssten. Die Impfung und die Hygieneregeln bleiben unsere wichtigsten Waffen im Kampf gegen dieses Virus, aber man muss sie auch anwenden.»
Angesichts der ständig steigenden Zahl von infizierten Kindern ist es durchaus möglich, dass COVID für einige von ihnen dramatische Auswirkungen hat, vor allem wenn ihr Gesundheitszustand durch eine schwere chronische Erkrankung (z.B. Trisomie 21) beeinträchtigt ist.
Statistiken auf Schweizer Ebene
Die hauptsächlichen Gründe für den drastischen Anstieg der Infektionen seit November 2021 liegen in der hohen Übertragbarkeit der Variante Omikron und in der Tatsache, dass Kinder unter 12 Jahren nicht geimpft sind. Seit Beginn der Pandemie wurden in der Schweiz rund hundert Fälle von PIMS registriert. Diese Erkrankung ist selten. Sie betrifft eines von tausend Kindern und führte in der Schweiz bisher zu keinen Todesfällen. Long-COVID ist ein anderer Aspekt, der zu berücksichtigen ist, denn er betrifft anscheinend 2 bis 15 % der Kinder.
Psychische Gesundheit auf eine harte Probe gestellt
COVID wirkt sich ganz besonders auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aus (siehe Seite 16). Bei Jugendlichen ist eine Zunahme der psychischen Notlagen, hauptsächlich der Angststörungen und Depressionen, festzustellen. Diese Tendenz ist auch im Spital Wallis zu beobachten. Um im Bereich der ambulanten Psychiatrie besser auf die Bedürfnisse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen des Kantons eingehen zu können, richtete das Spital Wallis eine Hotline ein. Ziel ist eine rasche und bestmögliche Orientierung der betroffenen Personen: Tel. 027 604 36 50 (Bürozeiten) oder 027 604 33 33.