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Dr. Daniel Bertin: «Covid hat mein Leben vollständig verändert»

Der Walliser Chirurg Daniel Bertin wurde im März 2020 mit voller Wucht von Covid getroffen. Er erlitt praktisch alle vom Virus verursachten Beschwerden und überlebte wie durch ein Wunder nach drei Monaten im Koma. Nach vielen Monaten voller Anstrengen und Belastungen hat er heute dank der Unterstützung seiner Familie und enger Freunde das Schlimmste überstanden, auch wenn sein Leben nicht mehr dasselbe ist.

Eine beunruhigende Nachricht

«Doktor Bertin musste in die Intensivpflege verlegt werden… ». Die Nachricht verbreitete sich anfangs April 2020 wie ein Lauffeuer und erreichte die Covid-19-Direktion des Spital Wallis gerade während einer Videokonferenz. Die Sorgen waren auf den Gesichtern auch über die Bildschirme zu erkennen. Alle hatten die Bilder der überfüllten Spitäler in Norditalien vor Augen. Eine Einlieferung in die Abteilung Intensivmedizin ist selten eine gute Nachricht. Ausserdem war zu dieser Zeit noch sehr wenig über dieses Virus bekannt, das sich auf der ganzen Welt ausbreitete.

Zwei Wochen früher war der Chirurg noch voll in Form und unternahm mit seiner Frau Veronika, Koordinatorin im Spital Wallis, eine Schneeschuhwanderung im Gebirge. «Wir liefen von Martinach aus bis nach La Caffe», erinnert er sich. «Für den letzten Drittel des Aufstiegs zogen wir die Schneeschuhe an.» Am Donnerstag, 19. März (St. Josef) mussten sie auf einen Skiausflug im Graubünden verzichten, da die Anlagen geschlossen waren. «Am Wochenende hatte ich Grippesymptome. Da ich am Montag arbeiten sollte, liess ich mich testen. Positiv.»

Sportlich, ohne Risikofaktoren

Da er in Form war und keine Risikofaktoren aufwies, machte er sich keine Sorgen. Dr. Bertin und seine Frau warteten zu Hause in Martinach in Isolation, «bis die Symptome verschwunden sind». Bei Veronika ging alles gut, nicht aber bei ihrem Mann. Das Atmen fiel ihm immer schwerer und acht Tage nach dem positiven Testergebnis bestätigten eine radiologische Untersuchung und eine Blutprobe eine schwere Infektion. Am 28. März wurde er in Sitten ins Spital eingeliefert und anschliessend auf die Intensivstation verlegt. «Wir kommunizierten über Facetime», erinnert sich Veronika. «Zuerst hatte er “Brillen” für den Sauerstoff, dann eine kleine Maske, dann eine grössere… Am 3. April, kurz vor der Intubation, konnte er nicht mehr sprechen.»

In den folgenden zwei Wochen verschlimmerte sich sein Zustand ständig. Nach einer Lungenembolie und anderen Komplikationen genügte der Sauerstoff nicht mehr und er musste mit einem ECMO-Gerät (extracorporeal membrane oxygenation) beatmet werden, welches das Blut ausserhalb des Körpers mit Sauerstoff anreichert und gleichzeitig das Kohlendioxid aus dem Blut entfernt. Das Gerät gelangt in der Schweiz selten zum Einsatz, allerdings immer noch häufiger als im Ausland. «Auch in den benachbarten Ländern wäre mein Leben hier zu Ende gegangen», betont Daniel Bertin.

Durch Sauerstoffversorgung ausserhalb des Körpers am Leben erhalten

Nach seiner Verlegung ins CHUV wurde er durch ECMO während sechs Wochen am Leben erhalten. An die Zeit seines künstlichen Komas erinnert er sich nicht. «Für mich war dies nicht sehr anstrengend», erzählt er heute lächelnd. «Die Arbeit leisteten vor allem diejenigen Personen, die ihr Möglichstes gaben, um mich am Leben zu erhalten. Und ich drücke dem Personal des Spitalzentrums des französischsprachigen Wallis und des CHUV meine volle Anerkennung für ihre Kenntnisse, ihre praktischen Kompetenzen, ihre Menschlichkeit und ihren Einsatz aus, um mich aus dieser schlimmen Situation zu befreien.»

Die Familie konnte nur telefonisch auf dem Laufenden gehalten werden. «Zwei- bis dreimal pro Tag», präzisiert Veronika. «Immer mit grossem Einsatz, um uns zu informieren. Nach einiger Zeit erhielt ich mit unseren zwei Söhnen eine Ausnahmebewilligung, um ihn besuchen zu können; vielleicht, weil es ihm so schlecht ging… Er sah so friedlich und schlafend aus und ich hatte nicht den Eindruck, dass er litt. Ich sagte mir: Wenn er jetzt gehen soll, musste er wenigstens nicht leiden.» Aber der Zustand von Dr. Bertin besserte sich schliesslich und nach rund hundert Tagen im Koma konnten die Ärzte endlich seine künstliche Beatmung einstellen. «Ich schlief im Winter, einige Tage nach unserer Schneeschuhwanderung, ein und es war Ende Juni, also Sommer, als ich erwachte. Ich befand mich an einem Ort, der mir unbekannt war, und ich hörte, wie Leute meinen Namen aussprachen. Ich musste auf meinem Patientenarmband überprüfen, ob man wirklich von mir sprach.»

15 Kilo und 70 % der Lungenfunktion verloren

Die Zeit im Koma war für Daniel Bertin nicht anstrengend, aber die Zeit danach erwies sich rasch als sehr hart. Er besass nur noch einen Drittel seiner Lungenkapazität und hatte 15 Kilo an Gewicht verloren. «Ich erkannte meine Frau rasch wieder, was sie beruhigte», erzählt er schmunzelnd. «Aber alles andere musste ich wieder lernen: aufstehen, sitzen, essen, kontinent werden. Und alles mit ständiger Sauerstoffunterstützung.» «Als er aufwachte, war er wie ein Tetraplegiker», erzählt Veronika Bertin. «Wir mussten ihm erklären, dass er wegen Covid und nicht wegen eines Unfalls in diesem Zustand war.»

Nach seiner Rückverlegung ins Spital Sitten wurde er weiterhin überwacht. Aufgrund von Herzrhythmusstörungen setzten ihm die Ärzte einen Herzschrittmacher ein, bevor er in Martinach mit seiner pulmonalen Rehabilitation beginnen konnte. «Es war hart. Die Patienten, mit denen ich zusammentraf, hatten ihre Lungenfunktion im Verlauf der Jahre allmählich verloren und kamen von ihrem Wohnort aus zur Rehabilitation. Ich kam aus der Überwachungsstation und der Intensivpflege und war von einer Person, der es gut ging, zu einer Person geworden, bei der nichts mehr ging.»

Sauerstoff, Rollator und Überraschung im Schwimmbad …

Im Oktober 2020, mehr als 6 Monate nach seinem positiven Testergebnis, konnte Daniel Bertin nach Hause zurückkehren. Es begann ein langes Physiotherapieprogramm mit vier Therapien pro Woche, zu denen er sich trotz der Nähe zum Spital mit dem Taxi begeben musste. Er brauchte immer noch Sauerstoff und bewegte sich mit einem «Taurus», einer Art Super-Rollator, fort. Er begab sich in die Turnhalle und ins Schwimmbad, wo er feststellte, dass er nicht mehr schwimmen konnte. «Man sagte mir, dass es mit dem Schwimmen wie mit dem Velofahren sei: man vergesse es nicht. Aber ich hatte es vergessen.»

Ende 2020 dachte er daran, die Feiertage im Chalet auf der Riederalp, in einer Höhe von 1900 Metern zu verbringen. «Ich absolvierte im Spital Martinach einen Höhentest. Aber nach eineinhalb Minuten auf dem Velo mit 20 Watt, was sehr wenig ist, war ich vollständig ausser Atem». An die Feiertage im Chalet war nicht zu denken, und die Probleme waren noch nicht beendet. Ein Virus verursachte bei ihm eine Perikarditis, eine Entzündung des Herzbeutels, und er musste sich zu Beginn des Jahres einer weiteren Operation unterziehen, gefolgt von zwei Wochen Spitalaufenthalt. «Zu dieser Zeit hatte ich wirklich den Eindruck, dass ich es nicht mehr schaffen würde», erinnert er sich. «Ich war wieder einige Stufen auf meiner Leiter der Rückkehr zu einem besseren Leben zurückgefallen».

Die kleinen Erfolge der Hoffnung

Trotzdem schöpfte er wieder Hoffnung, als sich sein Gesundheitszustand verbesserte. «Vor allem, als mir bewusst wurde, dass ich mich rascher erholte als nach meinem Spitalaustritt im Herbst.» Anschliessend folgten im Frühling und im Sommer kleine Erfolge: mässige Anstrengungen ohne Sauerstoffzufuhr, erste Schwimmversuche im Schwimmbad, Autofahren, Rückkehr ins Chalet nach einem weiteren Höhentest. Heute begibt sich Daniel Bertin zu Fuss ins Spital und kann in seinem Treppenhaus zwei Stockwerke die Treppen hinaufsteigen. «Ich hoffe, dass ich bald die fünf Stockwerke bei mir schaffe. Es fallen nämlich in nächster Zeit Arbeiten am Aufzug an… Ich bin sogar Ski gefahren», freut er sich. Mit einem tragbaren Konzentrator auf dem Rücken und Sauerstoffbrillen in der Nase, was einige Leute auf der Piste etwas perplex zurückgelassen hat.

«Mein Leben hat sich stark verändert»

Vor der Erkrankung betrieb er in der Freizeit vor allem Sport, heute liest er vermehrt; auch über Covid. «Ich bin beeindruckt von der Intelligenz und der Energie, die für eine so rasche Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs mobilisiert werden konnten», erzählt Dr. Bertin begeistert. «Ich hoffe, dass abgesehen von den “Neinsagern” genügend unentschlossene Personen von einer Impfung überzeugt werden können, damit wir es schaffen, mit diesem Virus zu leben.» «Mein Leben hat sich stark verändert», stellt der Chirurg fest. Er kann seinen Beruf nicht mehr ausüben. «Das Leben geht weiter. Und es ist auch nicht schlimm, wenn es nicht mehr dasselbe ist wie früher», fügt Veronika hinzu. «Das ist so», stimmt ihr Mann zu. «Es ist vor allem schön, dass ich lebe!»

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Über den Autor/die Autorin

Joakim Faiss

Journaliste - Collaborateur spécialisé en communication