In der Schweiz leiden mehr als eine Million Menschen
an Angststörungen. Zu diesen Störungen gehören die Phobien, von denen
mehrheitlich Frauen betroffen sind, und zwar im Verhältnis von zwei zu eins
gegenüber Männern.
Von der einfachen Angst vor Spinnen bis hin zur Angst vor grossen
Menschenmengen sind Phobien in der Bevölkerung weit verbreitet. Es kommt
manchmal vor, dass diese Angstzustände das Leben der Betroffenen bestimmen und
so ihre Lebensqualität beeinträchtigen.
Dr. Raphaël Voide, Chefarzt der Abteilung ambulante Psychiatrie und
Psychotherapie im Spital Wallis (CHVR) informiert uns über diese Angststörungen,
die uns alle betreffen können.
Die Phobie, eine irrationale Angst
Eine Phobie ist eine übersteigerte, irrationale und
unverhältnismässige Angst als Reaktion auf eine Situation, ein Objekt oder
einen Ort. Die betroffenen Personen erkennen oft selbst, dass ihre Angst
sinnlos ist, aber sie sind nicht fähig, vernunftgemäss zu reagieren.
Ein gemeinsamer Nenner dieser irrationalen Ängste ist das Vermeiden der angstauslösenden Situation, das je nach
Schweregrad der Angst mehr oder weniger ausgeprägt sein kann. Diese Ängste
können sich auf die Arbeit, die Schule und sogar die persönlichen Beziehungen
auswirken. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität steht grösstenteils in
Zusammenhang mit dem Vermeiden der
angstauslösenden Situationen.
Die meisten Phobien treten bereits in der Jugendzeit auf und entwickeln sich
allmählich.
Die verschiedenen Arten von Phobien
Es gibt drei Formen von Phobien:
- Die Agoraphobie ist eine irrationale Angst in Zusammenhang mit Situationen, in denen im Fall einer Panikattacke oder eines Unwohlseins eine Flucht nicht möglich ist. Personen, die unter Agoraphobie leiden, haben zum Beispiel Angst vor grossen Menschenmengen oder vor der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Obwohl die Agoraphobie selten auftritt (3 bis 4 % der Bevölkerung), ist oft die Hilfe von Fachpersonen nötig, da diese Phobie das tägliche Leben stark einschränken kann. Um diese angstauslösenden Situationen zu vermeiden, schliessen sich die Betroffenen manchmal zu Hause ein oder verlassen die Wohnung nur in Begleitung einer Vertrauensperson.
- Die soziale Phobie oder der soziale Angstzustand ist die Angst, von anderen beobachtet und negativ bewertet zu werden. Die Betroffenen fürchten sich vor sozialen Interaktionen mit unbekannten Personen, haben Angst, im Restaurant beobachtet zu werden, wagen es nicht, das Wort zu ergreifen oder vor einem Publikum eine Rede zu halten. Diese Form der Phobie betrifft rund 4 bis 5 % der Bevölkerung. Sie kann die Hilfe von Fachpersonen erfordern, vor allem dann, wenn sie mit der beruflichen oder sozialen Tätigkeit nicht vereinbar ist.
- Unter den spezifischen Phobien werden die übersteigerten und irrationalen Ängste vor spezifischen Objekten oder Situationen zusammengefasst, wie Angst vor Vögeln, vor Blutentnahmen, vor Aufzügen, usw. Diese Phobien sind in der Bevölkerung häufiger anzutreffen (10 bis 25 %), erfordern jedoch nur selten eine Sprechstunde, da es einfacher ist, den angstauslösenden Faktoren auszuweichen.
Der Ursprung dieser Ängste
Wie bei allen
psychiatrischen Störungen, gibt es nicht nur eine einzige Ursache. Der Ursprung ist multifaktoriell.
Das Auftreten einer Phobie kann mit dem bio-psycho-sozialen Modell erklärt
werden:
- Biologisch: seit unserer Geburt verfügen wir alle über ein genetisches Erbe, das uns für die Entwicklung einer Angst gegenüber einem Objekt oder einer Situation mehr oder weniger sensibel macht.
- Psychologisch: es handelt sich um alle Faktoren, welche den Aufbau unserer Persönlichkeit, unserer Psychologie beeinflussen. Unsere Erziehung, das Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind, und unsere Lebenserfahrungen prägen und verändern unsere Art zu leben und unsere Umgebung wahrzunehmen.
- Sozial: es handelt sich um die Ereignisse, welche unsere Lebensweise plötzlich beeinträchtigen und unser psychisches Gleichgewicht stören können.
Um eine Phobie zu verstehen, muss man sich also mit diesen drei Dimensionen beschäftigen.
Eine Phobie besiegen
Wenn man persönlich
mit einer neuen Angst konfrontiert wird, sollte man sich der Situation sofort
häufig aussetzen, um zu verhindern, dass die Angst zunimmt.
Auf psychiatrischer Ebene werden oft kognitive Verhaltenstherapien eingesetzt,
um den Betroffenen zu helfen. Angewendet wird die progressive Expositionstechnik, welche darin besteht, die
betroffene Person schrittweise mit ihrer Angst zu konfrontieren. So wird sich
der Patient selbst bewusst, dass seine Angst keinen Inhalt und keinen Grund
hat. Indem die betroffene Person das angstauslösende Element meidet, kann sie
zwar ihr emotionales Leiden rasch lindern, ihre
Angst bleibt jedoch bestehen. Wenn sie sich dieser Angst allerdings schrittweise
und regelmässig aussetzt, kann sie diese reduzieren, da sie feststellt, dass
die Gefahr nicht real ist.
Inzwischen kann zur Behandlung von Phobien auch eine neue und effiziente Therapieform
eingesetzt werden. Es handelt sich um die Virtuelle-Realität-Expositionstherapie.
Die Abteilung ambulante Psychiatrie des Spital Wallis analysiert gegenwärtig
die Möglichkeit, diese neue Technologie, welche mit Hilfe einer
Virtual-Reality-Brille schrittweise eine virtuelle Konfrontation mit der Angst
ermöglicht, einzusetzen.
Die ambulante Psychiatrie des Spital Wallis
Die Abteilung ambulante Psychiatrie und Psychotherapie ermöglicht erwachsenen Personen mit psychischen Störungen eine qualitativ hochstehende Pflege im Nahbereich. In den ambulanten Zentren von Monthey, Martinach, Sitten, Siders und Brig bietet ein multidisziplinäres Team mit einem psychiatrischen, psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Ansatz individuelle und gruppierbare Sprechstunden sowie eine Versorgung in der Tagesklinik an. Mehr Infos hier.
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