Medizin & Pflege

Osteoporose – wenn im Alter Knochen einfach(er) brechen

Menschen stürzen mit zunehmendem Alter immer häufiger. Dabei ziehen sie sich ohne grosse Einwirkung von aussen einen Knochenbruch zu. Es handelt sich dabei oft um eine sogenannte Fragilitätsfraktur: ein erstes Zeichen einer Osteoporose (Knochenschwund). Am Spitalzentrum Oberwallis (SZO) werden Patientinnen und Patienten über 50 Jahre mit einer Fragilitätsfraktur am Oberschenkel systematisch auf Osteoporose untersucht.

Aktuell leiden in der Schweiz etwa 400’000 Menschen an einer Osteoporose. Jede zweite Frau und jeder fünfte Mann tragen das Risiko, ab dem 50. Lebensjahr eine durch Knochenschwund bedingte Fragilitätsfraktur zu erleiden. «Aktuell sind 20 % der Walliser Bevölkerung über 65 Jahre alt und 5.5 % 80 und darüber. Im Jahr 2025 wird man in der Schweiz ungefähr 100’000 Personen mit einer Fragilitätsfraktur behandeln müssen», erklärt Dr. Thomas Beck, Chefarzt und Leiter der Klinik Chirurgie am SZO. Durch die steigende Anzahl älterer Menschen werde die Osteoporose zukünftig zu einer grossen Herausforderung für das Gesundheitswesen

Erhöhtes Risiko schon ab 40

Als Osteoporose bezeichnet man eine schleichende, das Skelettsystem betreffende Erkrankung, welche Knochensubstanz abbaut. «Der Knochenstoffwechsel ist ein ständiges Wechselspiel von Knochenauf- und abbau», erklärt der Fachmann eindrücklich. «Bis zum 25. Lebensjahr überwiegt der Knochenaufbau. In den zehn Jahren danach sind der Auf- und Abbau im Gleichgewicht. Ab 40 überwiegt der Knochenabbau. Bei Frauen verstärkt sich der Prozess zusätzlich durch die Menopause. Ab dem 60. Lebensjahr kann man von einem regelrechten Knochenverlust sprechen: Die Knochen werden porös, instabil und brüchig».

Veränderung der Knochenmasse: Der Knochen wird mit zunehmendem Alter porös, instabil und brüchig.

Ursache meist unbekannt

«Bei 95 % der Fälle, der sogenannten primären Osteoporose, ist die Ursache mehrheitlich unbekannt. Bei den verbleibenden 5 %, der sekundären Osteoporose, ist sie die Folge anderer Leiden wie rheumatologische Erkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Diabetes oder bösartige Knochentumoren. Die sekundäre Osteoporose kann aber auch infolge einer Medikamentenbehandlung entstehen. Beispiele dafür sindeine Langzeittherapie mit Kortison, Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems, zur Behandlung von Brust-, Prostata- und Lymphdrüsenkrebs, Antiepileptika sowie Antidepressiva».

Osteoporose: wie dagegenwirken?

Eine Osteoporose kann durch beeinflussbare und nicht beeinflussbare Risikofaktoren begünstigt werden. «Nicht beeinflussende Faktoren sind das weibliche Geschlecht, das zunehmende Alter, eine familiäre Vorbelastung, Nebenerkrankungen, Medikamente und frühere Fragilitätsfrakturen. Zu den beeinflussbaren Faktoren zählen wenig körperliche Bewegung, ein Mangel an Calcium, an Vitamin D oder an weiblichen Sexualhormonen (Östrogen) sowie übermässiger Alkohol- und Nikotinkonsum, Mangelernährung, Essstörungen und Untergewicht».

Eine Fragilitätsfraktur: ein ernstzunehmendes Anzeichen

Ohne Beschwerden bleibt die Osteoporose lange unbemerkt. Der Patient geht nicht zu seinem Hausarzt und aus diesem Grund findet eine routinemässige Abklärung im Sinne eines Screenings nicht statt.

«In vielen Fällen ist eine Fragilitätsfraktur – aufgrund eines Sturzes – die Erstmanifestation einer Osteoporose. Es handelt sich um Knochenbrüche, die ohne oder nur durch eine geringe Krafteinwirkung von aussen wie einen einfachen Sturz in der häuslichen Umgebung zustande kommen». Häufig entsteht eine solcher Bruch im oberen Bereich des Oberschenkels (Schenkelhals), im Bereich des Beckens, der Wirbelsäule, des Handgelenks oder der Schulter. Diese Brüche bedingen meist einen Spitalaufenthalt und sogar eine Operation. 

Dr. Thomas Beck
Chefarzt und Leiter der Klinik Chirurgie am SZO

Langzeitfolgen dieser Frakturen können zu chronischen Schmerzen, einer eingeschränkten Aktivität und Mobilität führen, was die Lebensqualität stark beeinträchtigt. «Zudem erhöht jede Fragilitätsfraktur das Risiko für weitere sogenannte Folgefrakturen. Diese müssen unbedingt durch eine adäquate Osteoporosetherapie verhindert werden», so die klaren Worte von Dr. Beck. Es gehe auch darum, Stürze zu vermeiden, einerseits durch die Beseitigung von «Stolperfallen» wie Schwellen und Teppichränder, anderseits durch gutes Schuhwerk, helle Beleuchtung und angepasste Sehhilfen.

«Leider haben nur etwa ein Viertel aller Patienten mit einer Fragilitätsfraktur bereits eine Osteoporosebehandlung erhalten. Die restlichen Patienten führen wir einer standardisierten Osteoporoseabklärung zu»

Dr. Thomas Beck

Der Fracture-Liaison Service (FLS): ein standardisierter Behandlungspfad im SZO

Viele Patienten mit einer Fragilitätsfraktur hatten zuvor noch keine Abklärung betreffend eine Osteoporose.

 «Untersuchungen haben gezeigt, dass nur 22 % aller Patienten mit einer Fragilitätsfraktur bereits eine Osteoporosetherapie erhalten. Internationale Arbeitsgruppen verschiedenster Fachrichtungen haben sich zum Ziel gesetzt, diese grosse Versorgungslücke mittels zertifizierter FLS-Zentren zu schliessen». 

Am SZO gibt es seit gut einem Jahr einen zertifizierten Fracture Liaison Service (FLS). Das heisst: alle Patienten über 50 Jahre mit einer Fragilitätsfraktur am Oberschenkel werden systematisch bezüglich einer möglichen Osteoporose abgeklärt. «Unser FLS-Team besteht aus Ärzten und Ärztinnen der Unfallchirurgie, Orthopädie, Geriatrie und Rehabilitation sowie zwei Pflegeexpertinnen mit Masterabschluss, den FLS-Nurses. Der Hausarzt wird ebenfalls in den Prozess miteingebunden, um u.a. doppelspurige Abklärungen wie bereits durchgeführte Osteoporosediagnostik zu vermeiden und um eine Osteoporosebehandung nach der Hospitalisation zu koordinieren».

Aktuell ist das FLS Projekt auf Fragilitätsfrakturen am Oberschenkel beschränkt. Geplant ist jedoch die Erweiterung auf eine vollumfängliche Erfassung der osteoporosebedingten Frakturen mit dem Ziel, die Qualität der Patientenbehandlung im Sinne einer Sekundärprophylaxe zu verbessern.

Wissenswertes zum Ablauf des FLS: «Die FLS-Nurses veranlassen die zur Osteoporosediagnose notwendigen Blutanalysen und erheben eine ausführliche Anamnese. Alle Resultate werden in eine elektronische Datenbank eingefügt, um ein individuelles Risikoprofil des Patienten zu erstellen. Parallel dazu kümmern sich Ärzte und Pflegefachpersonen der Chirurgie und Orthopädie um die Akutbehandlung der Fragilitätsfraktur. Während der Rehabilitationsphase wird die Diagnostik durch eine Knochendichtemessung vervollständigt. Die Ärzte der Rehabilitation und/oder der Geriatrie können aufgrund der Resultate eine individualisierte Osteoporosetherapie beginnen oder eine konkrete Empfehlung an den zuständigen Hausarzt abgeben, der die Weiterbetreuung nach dem Spitalaufenthalt gewährleistet. Die Behandlung der Osteoporose ist eine Langzeittherapie. Es gilt auch zusätzlich, beeinflussbare Risikofaktoren zu reduzieren».
Kontakt: szo.fls@hopitalvs.ch

Am SZO haben sich Kompetenzen verschiedener Fachbereiche gebündelt, um Patienten umfassend zu beraten und zu behandeln. Interdisziplinäre Projektgruppe Fracture Liaison Service (FLS) von links: Dr. Anke Baumgartner, Chefärztin Rehabilitation,, Dr. Ferdinand Krappel, Chefarzt Orthopädie, Katja Marty, Pflegeexpertin und FLS Nurse, Dr. Thomas Beck, Chefarzt, Klinikleiter Chirurgie und Projektleiter FLS, Sarah Pfaffen, Pflegeexpertin und FLS Nurse und rechts aussen Dr. Rolf Koch, Chefarzt Geriatrie

Klinik Chirurgie am Spitalzentrum Oberwallis 


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Über den Autor/die Autorin

Diana Dax

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