«Das kostspielige Prestige-Spital» – «Wird in Champsec bald nicht mehr geschossen?» – «Ein Spital, ausgerechnet in Champsec!» – «Die Bevölkerung reibt sich verwundert die Augen». Das sind nur einige der Schlagzeilen, die man in den 1970er-Jahren in der Zeitung «Nouvelliste» lesen konnte. Weit weg vom Stadtzentrum, mitten in den Landwirtschaftsfeldern von Champsec sollte also das neue Spital entstehen. Die zweite Schlagzeile ist übrigens eine Anspielung auf den damaligen Militärschiessplatz in Champsec.
«Falls es eine Abstimmung gegeben hätte, wäre das Vorhaben wohl gescheitert. Die Bevölkerung war damals noch nicht bereit für diesen Umzug», erinnert sich René Bornet, der damalige Spitaldirektor. Er war von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt, das nun seinen 40. Geburtstag feiert. «Ein angesehener Mann aus Sitten sagte mir damals,
dass er nie und nimmer einen Fuss in dieses Spital setzen werde. Einige Monate später begegnete er mir im Spitalhemd und er sagte zu mir: ‚Wie dumm man noch manchmal sein kann!’»
Gravelone: Ein Spital mit Reorganisationsbedarf
Diese Anekdote veranschaulicht, mit welchem Gegenwind das knallig-orange runde Spital zu kämpfen hatte. Der damals noch nicht einmal 30-jährige René Bornet kam «eher zufällig» zum Spitaldirektorenjob in Gravelone. «Sie suchten jemanden. Ich arbeitete damals beim Staat und hatte gerade mein Verwaltungsdiplom gemacht.»
Als er seinen Posten als stellvertretender Spitaldirektor antrat, merkte er bald, dass es in Gravelone nicht nur darum ging, etwas zu «verwalten», sondern eine regelrechte Reorganisation nötig war. «Die Einteilung in Abteilungen und Stationen, wie wir sie heute kennen, existierte damals noch nicht. So konnte es vorkommen, dass sich ein Patient mit einem gebrochenen Bein direkt neben einer Patientin wiederfand, die gerade entbunden hatte. Es gab noch keine Notfallstation und ohne ‚Eintrittsbillett‘ des Hausarztes wurde niemand im Spital behandelt.»
«Wir mussten uns vergrössern»
Der ambitionierte junge René Bornet schaut, was andere Spitäler so machen und baut zusammen mit dem Kinderarzt André Spahr eine Kinderabteilung auf. Das funktioniert so gut, dass andere Fachrichtungen auch bald ihre eigene Abteilung wollen und diese auch erhalten. «Das Spital, das trotz viel Herzblut der Mitarbeitenden lange Zeit nicht auf der Höhe der Zeit war, gewann langsam wieder das Vertrauen der Bevölkerung. So wurden wir Opfer unseres eigenen Erfolgs. Wir mussten uns vergrössern.»
«Aber wie? Wie sollte die Zukunft unseres Spitals aussehen? Die Medizin machte in jener Zeit riesige Fortschritte und wir wollten ein modernes Gebäude nicht nur für die Stadt Sitten, sondern für die ganze Region.» Es wurde schnell klar, dass Gravelone aufgrund der engen Platzverhältnisse nicht für eine Erweiterung in Frage kam und man evaluierte deshalb mehrere neue Standorte, darunter auch die Ebene von Champsec. «Das Spital war nicht mehr ein Ort der Gemächlichkeit, sondern des geschäftigen Treibens», erinnert sich René Bornet. «Wichtig waren eine gute Verkehrsanbindung und genügend Platzreserven für künftige Erweiterungen. Ein Experte empfahl uns, weitsichtig zu sein und das neue Spital doppelt so gross zu bauen, als wir damals für nötig hielten.» Also kaufte man 150’000 m2 Land, was 15 Fussballfeldern entspricht. Der Quadratmeterpreis lag zwischen 14 und 40 Franken. Heute liegt das Spital ganz in der Nähe der Ausfahrt der Autobahn A9, die damals noch in der Projektierungsphase war.
Rund bedeutet kurze Wege
Da die ersten Pläne dann doch etwas zu hochfliegend waren, wurden sie leicht redimensioniert. «Es musste darauf geachtet werden, dass die Gemeinden die Finanzierung stemmen können. Das Budget wurde auf 100 Millionen Franken reduziert.» 1979 ist es dann soweit: Der Rundbau mitten im Feld nimmt Gestalt an. «Die Form und die Farbe des neuen Spitals sorgte von Anfang an für Gesprächsstoff. Die runde Form wurde gewählt, um den Pflegenden lange Wege zu ersparen. Das auffällige Orange sollte bewusst einen Gegensatz zum Braun und Grau der damaligen Fabrikgebäude bilden», erklärt René Bornet.
Der Umzug der 126 Patienten von Gravelone nach Champsec erfolgt am 4. Dezember 1979 ohne Zwischenfälle, auch dank der Mithilfe der Armee. Noch am selben Tag kommt das erste Kind im neuen Spital zur Welt. Die Patienten staunen über die modernen Annehmlichkeiten, die sich ganz nach dem Motto richten: nicht nur zweckmässig, sondern komfortabel. «Es gab nun Zweibettzimmer und ein Menü à la carte mit Wein, wobei vor allem der Rotwein Zuspruch fand.»
15’000 am Wochenende der offenen Tür
Zwei Wochen vor der eigentlichen Eröffnung wurde die Bevölkerung zu einem Wochenende der offenen Tür eingeladen. Nicht weniger als 15’000 enthusiastische Personen fanden den Weg ins neue Spital. «Ich bin kein Genie, aber habe immer versucht, auf gute Ratschläge zu hören», sagt René Bornet, der 2001 nach mehr als 30 Jahren das Zepter als Sittener Spitaldirektor abgab. «Ich selber habe nie am Nutzen dieses Spitals, das auch heute noch modern ist, gezweifelt. Aber erst als ich diese Tausenden von Menschen an den Tagen der offenen Tür sah, wurde mir bewusst, dass wir es geschafft hatten, auch die anderen zu überzeugen.»
1979
Foto Bourgeoisie de Sion,
Mediathek Wallis- Martinach
2019
40 Jahre nach der Eröffnung hat das Grün gegenüber dem Orange Überhand genommen.
Erweiterungen in Sitten und Brig
Etwas mehr als 40 Jahre nach seiner Eröffnung wird das Spital Sitten nun erweitert und flächenmässig quasi verdoppelt, um auch in Zukunft den Einheimischen und Gästen unseres Kantons gute Dienste erweisen zu können. Im Oberwallis tut sich ebenfalls was: Sobald der Erweiterungsbau in Brig steht, wird das Spital Visp schliessen und Brig zum alleinigen Spitalstandort im Oberwallis. Läuft alles nach Plan, werden die Erweiterungen in Sitten und Brig zwischen 2025 und 2027 in Betrieb genommen.
Mehr Infos: Infrastrukturen des Spital Wallis