In diesem partnerschaftlichen Verhältnis erhält der Patient eigene Kompetenzen und interagiert aktiv mit den Gesundheitsfachleuten. «Obwohl der Patient Inhaber des Zugangsrechts zu seinem Dossier ist, macht er selber am wenigsten davon Gebrauch», so Prof. Bonvin.
Das neue Patientenverständnis und die zunehmende Datendigitalisierung sind für die Gesundheitsfachpersonen von doppelter Bedeutung: Einerseits handelt es sich um einen Kulturwandel weg von der «paternalistischen Medizin» mit ihrem Wissensgefälle zwischen Spitalteam und Patient hin zu einem Verhältnis auf Augenhöhe. Andererseits kann der Patient ganz genau regeln, wer welche Daten einsehen darf.
Bei diesen tiefgreifenden Veränderungen steht viel auf dem Spiel: «Wenn wir es falsch anpacken, könnte es sein, dass wir zwar über ein umfassendes elektronisches Patientendossier verfügen, aber fast niemand darauf zugreifen kann. Zudem besteht die Gefahr eines wahren ‚Datenbasars’, gerade auch angesichts der vielen smarten Gesundheits-Apps auf Mobiltelefonen und Tablets.»
Vom elektronischen Spitaldossier…
Das Spital Wallis führt schon seit Längerem für jeden Patienten ein elektronisches Spitaldossier. «Bereits vor 20 Jahren haben wir mit der Digitalisierung der Patientendaten begonnen», erklärt Marina Hinnens, Koordinatorin klinische Informationssysteme des Spital Wallis. «Die klassischen Papierarchive wurden durch das elektronische Spitaldossier abgelöst.» Im heutigen digitalen Zeitalter muss sich dieses Dossier weiterentwickeln und mit intelligenten Funktionen versehen werden, welche die Qualität der Patientenversorgung verbessern.
Dies beinhaltet auch, dass der Patient und – mit dessen Einverständnis – externe Gesundheitsfachleute Zugriff auf die Daten bekommen, um so die Koordination zu verbessern.
… zum elektronischen Patientendossier
Auf eidgenössischer Ebene wird neu das «elektronische Patientendossier» (EPD) eingeführt. Der Patient entscheidet selber, ob für ihn ein EPD angelegt werden soll. Das EPD ersetzt das bisherige Spitaldossier nicht, doch die Infos des Spitaldossiers fliessen in das EPD ein.
«Ab April 2020 sind die Spitäler verpflichtet, hier mitzumachen», erklärt Cédric Michelet, Verantwortlicher eHealth in der Walliser Dienststelle für Gesundheitswesen. Das Wallis ist hierfür der interkantonalen Vereinigung CARA beigetreten, welche 2018 gegründet wurde. Die Kantone Genf, Wallis, Waadt, Freiburg und Jura bündeln durch diese Allianz ihre Kräfte, «um eine einheitliche eHealth-Plattform für die Gesundheitsleistungserbringer und die Bevölkerung der Westschweiz zu schaffen.» CARA ermöglicht es dem Patienten, sein elektronisches Patientendossier (EPD) zu eröffnen und dort seine Gesundheitsinformationen abzulegen.
Wie bei allen eHealth-Plattformen in der Schweiz besteht das Ziel darin, den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitssystems (Spitäler, freipraktizierende Ärzte, Apotheker, Labors, sozialmedizinische Zentren, Alters- und Pflegeheime usw. – jedoch ohne Versicherungen) zu vereinheitlichen. Der Patient bestimmt, welcher Akteur in welchem Umfang Zugang zum EPD erhält. Er hat zudem die Möglichkeit, das Dossier selber mit Informationen zu «füttern» und eine Vertrauensperson in Zusammenhang mit seinem EPD zu bezeichnen. Seit etwas mehr als einem Jahr beschäftigt sich Marina Hinnens mit der Frage, wie das bisherige Spitaldossier am besten mit dem neuen EPD verknüpft werden kann und welche Erwartungen es diesbezüglich gibt.
«Das Spitaldossier enthält enorm viele Informationen: La borresultate, Radiologiebilder, genetische Abklärungen, Informationen für die Rechnungsstellung, Arztberichte, Medikamentenlisten, Essensvorlieben usw. Es muss nun analysiert werden, welche dieser Informationen der Patient im EPD wiederfinden möchte und wie man die Daten am einfachsten überführen und verständlich aufbereiten kann», so Marina Hinnens.
«Ein enormes Potenzial, aber…»
«Schlussendlich geht es darum, die Qualität der Patientenversorgung zu erhöhen, indem man den Informationsfluss verbessert, das Fehlerrisiko verringert, unnötige Untersuchungen vermeidet und die Betreuungskontinuität gewährleistet », so Cédric Michelet.
Dr. Grégoire Gex, Chefarzt in der Abteilung Pneumologie des Spital Wallis, ist vom «enormen Potenzial des elektronischen Patientendossiers» überzeugt. «In erster Linie bedeutet mehr Transparenz mehr Qualität. Der Arzt sieht auf einen Blick, welche Medikamente der Patient einnimmt, welche Allergien er hat und wie seine medizinische Vergangenheit aussieht. Zudem sind die Aufzeichnungen der vorbehandelnden Ärzte oft eine wertvolle Entscheidungs hilfe.» Der Patient wiederum kann sich in seiner neuen Rolle als aktiver Partner besser auf eine bevorstehende Sprechstunde vorbereiten.
Allerdings sieht Dr. Gex auch Risiken in Zusammenhang mit der Transparenz: «Ganz abgesehen vom notwendigen Schutz der Daten vor unautorisierten Zugriffen kann die Transparenz auch zu Missverständnissen beim Patienten führen.» In einer Gesellschaft, die kaum noch Fehler toleriert, hat auch Ungewissheit keinen Platz mehr, gibt Dr. Gex zu bedenken. «Zweifel und Ungewissheit sind aber Bestandteil der ärztlichen Arbeit. Manchmal muss man die Ungewissheit akzeptieren und auf zusätzliche Untersuchungen, die riskant sein könnten, verzichten.»
Solche Sachverhalte müssen dem Patienten, der mit dem elektronischen Patientendossier mehr denn je zum Partner seiner eigenen koordinierten Gesundheitsversorgung wird, explizit dargelegt werden.
Weitere Informationen: EPD – elektronisches Patientendossier
Den Artikel in Papierform finden Sie im Magazin kontakt – Ausgabe August 2019 – am Eingang aller Standorte des Spital Wallis erhältlich.