Medizin & Pflege

Diagnose Krebs : eine neue Wirklichkeit

Diagnostic du cancer
Im Wallis erhalten 1’750 Frauen und Männer pro Jahr die Diagnose Krebs. Auch wenn Krebs heute besser behandelbar ist, ist die Diagnose für jeden Patienten und jede Patientin ein einschneidendes Ereignis. Man steht vor neuen Herausforderungen und sieht sich nicht «nur» mit gesundheitlichen Sorgen, sondern auch mit persönlichen, familiären, sozialen und beruflichen Zukunftsängsten konfrontiert.

Sandra Sieber, Psychoonkologin im Spitalzentrum Oberwallis, unterstützt Betroffene und/oder deren Angehörige im Umgang mit der Diagnose «Krebs» und mit der Anpassung an die neue Situation, die verschiedene Gefühle hervorruft.

Warum braucht es Psychoonkologen?

Wissenschaftlichen Studien zufolge sind rund ein Drittel der Patienten emotional belastet oder erfüllen die Kriterien einer psychischen Störung.

Ab dem Zeitpunkt der Diagnose Krebs ist nichts mehr wie zuvor. Der bisherige Lebensweg wird radikal unterbrochen. Jeder Mensch assoziiert unterschiedliche Dinge mit der Krankheit: Manche denken direkt an den Tod, andere fürchten sich vor den Nebenwirkungen der medizinischen Therapien. Gefühle wie Wut, Trauer, Panik, Hilflosigkeit, Scham oder Ungerechtigkeit lodern auf und wechseln sich ab. Häufig kommt auch die Frage nach dem «Warum» oder nach Schuld auf.

In dieser Lage den Boden unter den Füssen zu bewahren und Bewältigungsstrategien auszuarbeiten, ist nicht einfach. Es ist normal, sich anfänglich oder auch im Verlauf immer wieder überfordert zu fühlen. Darüber offen sprechen zu können und gemeinsam nach Strategien zu suchen hilft häufig.

Der Patient ist gefordert, mit der körperlichen Krankheit umzugehen. In diesem Prozess spielen psychische Bewältigungs- und Anpassungsleistungen eine zentrale Rolle.

Welche psychischen Probleme können im Verlauf einer Krebserkrankung aufkommen?

Je nach Behandlungskontext und Krankheitsstadium stehen unterschiedliche Themen im Mittelpunkt.

Sehr häufig treten Ängste und Sorgen auf, auch im Zusammenhang mit verminderter Leistungsfähigkeit oder anhaltender Müdigkeit, die dann wieder Fragen nach der beruflichen Zukunft aufwerfen. Die Frage nach dem Sinn im Leben, also nach dem, was jetzt Priorität hat, ist ebenfalls zentral.

Je nach Behandlungen oder z.B. auch den Umständen rund um die Diagnosestellung können auch Traumatisierungen oder depressive Entwicklungen auftreten. Auch Fragen rund um die Kommunikation werden immer wieder gestellt: «Wie kann ich mit Fragen umgehen?», «Wieviel soll ich wem preisgeben?», «Wie kann ich mich schützen?» etc. 

Oft stellen sich auch ganz existenzielle Fragen, zum Beispiel, wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin an Krebs erkrankt ist: «Bin ich finanziell abgesichert?», «Wie soll ich mich alleine um die Kinder kümmern?». Hier helfen die Sozialarbeiter der Krebsliga, der Familiendienst der Spitex oder der Kinderbetreuungsdienst weiter.

Dann gilt es auch zu berücksichtigen, dass jede Person eine andere Ausgangslage hat, über eine andere Lebensgeschichte verfügt und im Verlaufe des Lebens unterschiedliche Bewältigungsstrategien aufgebaut hat. Keiner kann von sich auf den andere schliessen. Jeder muss entscheiden, was ihm gut tut, was für ihn Sinn macht. Dies herauszufinden ist in einer Situation, in der alles verändert scheint, alles andere als einfach. Wir arbeiten gemeinsam daran, die eigenen Kräfte, die möglicherweise verschüttet sind, zu finden und zu aktivieren. Dazu ist es wichtig, nicht nur über die Krankheit zu reden!

Sie arbeiten auch mit dem Distress-Thermometer. Was ist das genau?

Der Distress-Thermometer ist ein Screenigverfahren, d.h. ein Fragebogen, der im Ambulatorium Onkologie sowie auf der Palliativstation eingesetzt wird, um Patienten zu erkennen, die eine erhöhte Belastung aufzeigen. Der Patient füllt den Bogen alleine aus, kann offen zu seinem aktuellen Befinden im Zusammenhang mit praktischen, sozialen, emotionalen und körperlichen Fragen Stellung nehmen. Dieses Instrument liefert uns und ihm wertvolle Informationen, wo er aktuell steht. Er merkt zudem, dass wir ihn ernst nehmen und uns neben seinem körperlichen auch um sein psychisches und soziales Wohlbefinden kümmern. Je nachdem, wie hoch dieses virtuelle «Thermometer» ausschlägt und welche Bereiche insbesondere betroffen sind, wird dem Patienten zum Beispiel empfohlen, die psychoonkologische Sprechstunde in Anspruch zu nehmen oder eine Sozialarbeiterin vermittelt.

Die psychoonkologische Therapie ist für viele Patienten Neuland – wie reagieren sie darauf?

Häufig spüre ich Erleichterung bei den Patienten, schwierige oder auch heikle Themen an einem «geschützten» Ort ansprechen zu können und im besten Fall eine Strategie im Umgang mit Problemen zu finden. Häufig wollen Patienten ihre Angehörigen nicht belasten – dies wird in unseren Gesprächen aber auch thematisiert und häufig können dann die Angehörigen mit der Zeit mit einbezogen werden.

Die Hemmschwelle, psychologische Hilfe anzunehmen, ist zum Glück nicht mehr so hoch wie früher. Man ist heute offener dafür, neben den körperlichen Beschwerden auch die psychischen Bedürfnisse zu äussern und ernst zu nehmen. Dies widerspiegelt sich nicht zuletzt auch darin, dass wir multiprofessionell arbeiten.

Was ist das Schwierigste nach einer abgeschlossenen Krebsbehandlung?

Eine geheilte Krebserkrankung hinterlässt Spuren. Für den Patienten ist mit dem Behandlungsende nicht einfach alles vorbei. Es bleiben Zweifel und Fragen, die vielleicht unterschwellig schon lange da waren. Man geht zwar zurück zur «Normalität», aber es ist doch anders als zuvor. «Wie will ich im Leben weiterfahren?», «Soll ich im Beruf kürzertreten, mich körperlich mehr betätigen, andere Motivationsquellen finden und neue Ziele definieren?».

Eine Herausforderung ist es auch, wieder Vertrauen in den eigenen Körper und zu sich selber zu finden – und auch seine Rolle im Leben, sei es in der Partnerschaft, im Familienleben, bei der Arbeit oder in der Gesellschaft.

Ist eine psychoonkologische Langzeitbegleitung nötig?

In der Regel nicht. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Die medizinische Behandlung und die regelmässigen Nachkontrollen ziehen sich über mehrere Monate hin. Wenn der körperliche «Therapieauftrag» beendet ist, hinkt die psychische und soziale Gesundheit oft hinterher. Hier setzen wir an. Wir unterstützen die Patienten vor, während und/oder nach der Krebsbehandlung. Einige brauchen nur ein Gespräch, andere kommen mehrmals zu uns. Eine eigentliche Langzeitbegleitung ist aber in den wenigsten Fällen nötig.

Wie finden die Patienten zu Ihnen?

Die Kontaktaufnahme erfolgt hauptsächlich über die Onkologen, Pflegefachpersonen der Onkologie/Palliativabteilung, die Krebsliga Wallis, den Mobilen Palliativdienst, über die Patienten selbst oder deren Angehörige. Zur Sprechstunde kommen die Patienten alleine oder mit Angehörigen/Bezugspersonen. Manchmal sind es auch die Angehörigen alleine, die den Kontakt zu uns suchen. 

Nützliche Links:




«Eine psychoonkologische Therapie in Anspruch zu nehmen heisst nicht automatisch, dass man psychisch krank ist oder dass Krebs psychische Ursachen hätte, sondern dass eine Krebserkrankung Auswirkungen auf das psychische Erleben und Verhalten hat, die nicht immer alleine (oder mit Familienangehörigen) bewältigt werden können». Dr. phil. Sandra Sieber, Psychoonkologin, Spitalzentrum Oberwallis.




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Über den Autor/die Autorin

Diana Dax

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