Die Abteilung Rechtsmedizin wird oft nur mit Autopsien in Verbindung gebracht. Sie spielt jedoch eine entscheidende Rolle als Schnittstelle zwischen der Medizin und der Justiz. Es handelt sich um eine Medizin im Dienste der Justiz, die den Staatsanwalt in seinen Untersuchungen unterstützt. Die Abteilung stellt jedes Jahr rund 500 Gutachten aus.
Auch wenn die Rechtsmedizin durch zahlreiche TV-Serien bekannt geworden ist, existieren in Zusammenhang mit diesem Beruf immer noch zahlreiche Vorurteile. Erfahren Sie mit der Fachärztin Bettina Schrag, Abteilungsleiterin Chefärztin, mehr über diese Dienstleistung.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft führt die Abteilung hauptsächlich folgende Aufträge aus:
Untersuchung von Verstorbenen
Der Körper von Verstorbenen wird entweder am Ort seiner Auffindung (im Freien, zu Hause, …) oder direkt in den Räumlichkeiten des Spital Wallis untersucht. Zweck dieser Untersuchung ist der Nachweis von traumatischen Verletzungen oder besonderen Anzeichen, um die Umstände und die Ursachen des Todes zu verstehen. Zusätzlich zur Untersuchung der Leiche sind manchmal biologische Entnahmen (zum Beispiel Blut und Urin) notwendig, um verschiedene Analysen durchführen zu können. Im Verlauf der Autopsie werden Fragmente gewisser Endorgane entnommen. Diese werden unter dem Mikroskop untersucht, um allfällige auf Zellebene sichtbare Erkrankungen (z.B. entzündliche Reaktion einer durch eine Stichwaffe verursachten Wunde, lebensbedrohliche Verletzung des Kehlkopf-Skeletts, Infarkt, Pneumonie) nachweisen zu können.
Identifizierung einer verstorbenen Person: In gewissen Fällen, zum Beispiel bei grossen Verletzungen, kann die Leiche nicht identifiziert werden. Dann wird mit der Polizei zusammenearbeitet, damit das beauftragte Labor für forensische Genetik z.B. über eine Entnahme von Nägeln die DNA bestimmen und (bei einer mutmasslichen Identität) mit der DNA eines Familienmitglieds abgleichen kann.
Vaterschaftsabklärungen: Speichelentnahme für den Vaterschaftstest.
Klinische Untersuchungen (an lebenden Personen): Die Rechtsmedizin befasst sich nicht nur mit verstorbenen Personen, sondern auch mit Personen, die Gewalt erlebt haben.
«Bei körperlicher Gewaltanwendung können wir mit der Untersuchung eines Opfers oder eines Aggressors beauftragt werden. In diesen Fällen erstellen wir eine Bilanz der Verletzungen und äussern uns zur Zuverlässigkeit der Darstellung des Opfers und/oder des Aggressors», erläutert Bettina Schrag.
Feststellung sexueller Gewalt: In Zusammenarbeit mit der Abteilung Gynäkologie erstellt die Abteilung Rechtsmedizin einen Befund beim Opfer sexueller Gewalt, um möglichst viele Beweismittel sicherzustellen (Fotos von Verletzungen, DNA-Entnahme zur Bestimmung der DNA des Aggressors, Nachweis von Sperma, usw.). Die Untersuchung erfolgt unabhängig davon, ob bei der Polizei Anzeige erstattet worden ist oder nicht. Idealerweise findet sie möglichst rasch nach dem Vorfall statt. Wenn das Opfer Anzeige erstattet, verfügt die Justiz für ihre Untersuchungen über vollständige Unterlagen und über Proben, die analysiert werden können.
Untersuchung von Gebeinen oder «menschlichen Überresten»: «Bei der Entdeckung von Knochen in freier Natur werden wir regelmässig kontaktiert, um vorerst abzuklären, ob sie tierischen oder menschlichen Ursprungs sind. Im 2. Fall erfolgen vertiefte Untersuchungen, um festzustellen, ob die Knochen zu einer «vermissten» Person gehören, die in der Datenbank der Polizei erfasst ist. Über einen solchen Auftrag ist in den Medien berichtet worden. Es handelt sich um die Entdeckung des Ehepaars Dumolin 75 Jahre nach seinem Verschwinden auf dem Tsanfleuron-Gletscher», erklärt Bettina Schrag.
Gutachten auf der Grundlage bestehender Dossiers: Bei diesen Gutachten handelt es sich um die «administrativste» Aufgabe der Abteilung. Sie erfordert nämlich die peinlich genaue Untersuchung grosser Dossiers, um spezifische medizinische Fragen zu beantworten, welche die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Strafverfahrens stellt. Es kann sich dabei zum Beispiel um die Untersuchung der medizinischen Versorgung einer im Spital verstorbenen Person handeln.
Treffen mit den Angehörigen: «Manchmal erteilt uns die Staatsanwaltschaft die Bewilligung für ein Treffen mit den Angehörigen einer verstorbenen Person. Dabei beantworten wir ihre Fragen und unterstützen sie bei der Verarbeitung des Todesfalls, indem wir sie über die Umstände des Todes ihres Familienmitglieds aufklären», präzisiert Bettina Schrag.
Zusätzlich zu diesen Untersuchungen übernimmt die Abteilung ebenfalls präventive Aufgaben wie die Information der Angehörigen, wenn im Rahmen der Autopsie einer verstorbenen Person eine Erbkrankheit nachgewiesen wird. Aufgrund dieser Angaben können sich die Angehörigen testen lassen, damit sie wissen, ob sie ebenfalls von dieser Erkrankung betroffen sind. In Zusammenhang mit sexueller Gewalt wird bei Bedarf auch die Frage der Prävention gegen sexuell übertragbare Infektionen besprochen.
Im Gegensatz zur weit verbreiteten Vorstellung sind die Mitarbeitenden der Abteilung Rechtsmedizin nicht schwermütig oder unheilverkündend. Ihre Motivation besteht nicht in den “gewalttätigen” oder “seltsamen” Aspekten gewisser Fälle, sondern vielmehr in der Suche nach der Wahrheit. Sie wollen die Fragen der Familien beantworten, den Opfern Gehör schenken und die Polizei und die Staatsanwaltschaft bei ihren vielfältigen Untersuchungen unterstützen.
Projekt 3D-Scanner und 3D-Drucker
Im Rahmen der Funktion von Frau Dr. Schrag als Weiterbildungsverantwortliche zur Verleihung des Facharzttitels FMH Rechtsmedizin können vom kantonalen Amt für Archäologie anatomische Teile ausgeliehen werden. Diese Teile werden anschliessend in der ganzen Schweiz von Studierenden zur Erlangung des Facharzttitels untersucht. Unter diesen Teilen befinden sich Gebeine von Säuglingen, die aus der Zeit 3500 v. Chr. stammen, oder Gebeine von Bären, die in archäologischen Grabungen gefunden wurden und extrem zerbrechlich sind.
Um die Risiken einer Beschädigung dieser wertvollen Reliquien durch den Transport zu vermeiden, hat das Start-up Neomake in Siders den Auftrag erhalten, 15 anatomische Teile mit einem hochpräzisen 3D-Scanner zu digitalisieren und im 3D-Drucker zu reproduzieren. Dieser Auftrag hat 1,5 Tage (1 Stunde pro Teil) in Anspruch genommen. Mit dem 3D-Drucker sind kleine Knöchelchen, die oft für die Weiterbildung in Rechtsmedizin eingesetzt werden, mit ausserordentlicher Präzision reproduziert worden. Künftig müssen die Originalgebeine also nicht mehr durch die ganze Schweiz transportiert werden. Für den Unterricht ist eine praktische und perfekte Lösung gefunden worden.
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